Es ist erstaunlich, was geschultes Personal bei einem tiefen Blick in den Mund alles herausfindet. Ein guter Grund, um öfter mal den Mund zu halten. Man weiß nie, wer reinschaut.
Bedingt durch einen Wohnortwechsel musste ich vor einigen Jahren den Zahnarzt wechseln. Mein alter Zahnarzt war Anfang 40, dreimal geschieden, fuhr einen Sportwagen und war zu dieser Zeit – statistisch gesehen – ein durchschnittlicher Vertreter seiner Berufsgruppe. Was ihn etwas über den Durchschnitt hinaushob war, dass er zweimal von derselben Frau geschieden worden war. Die Folge dieser statistischen Anomalität: Es ging ihm wirtschaftlich nicht ganz so gut, wie dem Durchschnitt der Berufsgruppe.
Bedingt durch meinen Wohnortwechsel suchte ich mir also einen neuen Zahnarzt. Zwei Jahre später wechselte mein neuer Zahnarzt den Wohnort – er ging in die Schweiz, weil er dort mehr verdienen konnte und weniger arbeiten musste. Die Praxis verkaufte er an einen jungen, ambitionierten Kollegen. Dies führte zu einem weiteren Wechsel des Zahnarztes. Damit man das richtig versteht: Nicht ich wechselte den Zahnarzt – meinen Zahnärzten bleibe ich in der Regel länger treu, als sie ihren Frauen – die Praxis wechselte den Zahnarzt und behielt mich als Kunden.
Der junge und ambitionierte Zahnarzt hat ein Zertifikat der American Academy of Cosmetic Dentistry in seiner Praxis. Darauf steht, dass er Member dieser Vereinigung ist und sich demzufolge in kosmetischer Dentisterei sehr gut auskennen muss. Schließlich stammt das Zertifikat aus den USA. Wurzelbehandlungen führt er nicht selbst aus und die Extraktion eines Zahnes fällt auch nicht in seine Kernkompetenz. Ich finde es gut, wenn jemand weiß wo seine Grenzen sind, anstatt in unbekannten Gefilden zu dentisterieren.
Stattdessen hat er viele feenartige Helferinnen, die sich ganz der Zahnpflege und Mundhygiene verschrieben haben. Die ganze Atmosphäre ist ein wenig so, wie in Volker Schlöndorffs Film Die Geschichte einer Dienerin. Ich will nicht sagen, dass sich sexuelle Phantasien über die Maßen in den Vordergrund drängen würden – aber: Es herrschte eine Intimität und Diskretion, die von einem tiefen Wissen über die geheimen Vorlieben des Kunden künden. Dazu gehört, dass jeder Kunde mit seiner persönlichen Fee, in einer langwierigen Prozedur, das Ritual der Reinigung durchlebt.
Eines Tages war meine Fee indisponiert und nicht verfügbar. Eine neue, deutlich jüngere und mir unbekannte sphärische Erscheinung legte mir das Lätzchen um und begann mit der Behandlung. Ihre erste, nicht dem freundlichen Umgang geschuldete Bemerkung war: "Sie rauchen!" Wohlgemerkt: Das war keine Frage, sondern eine Feststellung. Ich hatte mich übrigens nie dem Trugschluss hingegeben, dass ein schnell zerkautes Fischermans-Friend kurz vor dem Betreten der Feenlandschaft, meinen Nikotingebrauch wirkungsvoll hätte kaschieren können. Von meiner Seite war dies immer nur ein Akt der Höflichkeit, um meine Fee während der langwierigen Behandlung nicht dem ungefiltertem Odem eines Rauchers auszusetzen. Gerade deshalb schockierte mich wahrscheinlich die direkte Art der Feststellung.
Wenig später hatte sie aus meinem Zahnbelag die nächste Schlussfolgerung gezogen: “Sie trinken Kaffee und Rotwein! Das sieht man an ihren Zähnen!” Die Diagnose war eindeutig. Tee hatte sie als Belagskomponente zu Recht ausgeschlossen. Vollkommen entblößt war meine Existenz, als sie feststellte: “Sie sind Rechtshänder! Das sehe ich daran, dass die Zähne auf der linken Seite gründlicher geputzt sind!” Da liegt man schon wehrlos mit Lätzchen auf einem Stuhl, der einen in unvorteilhafteste Lagen bringt und dann wird man noch schonungslos mit Details konfrontiert, die feengleiche Expertinnen aus dem Zahnbelag lesen. Das ist schon ein Grund demütig den eigenen Lebenswandel gedanklich zu überprüfen. Andererseits fragt man sich, ob Feen der ärztlichen Schweigepflicht unterliegen, was sie sonst noch aus dem Zahnbelag an Informationen gewinnen, aber aus Taktgefühl verschweigen und inwieweit staatliche Stellen auf diese Informationen zugreifen können.
Das Ambiente, in dem diese Informationen gewonnen werden, ist das eines Wellness-Tempels der gehobenen Preisklasse. Früher waren Zahnarztpraxen einfach nur saubere, weiße Räume in denen es nach Borax roch. Dem Wohlfühlfaktor sind allerdings auch heute noch enge Grenzen gesetzt. Wie schreibt Roman Pletter treffend in seinem Artikel über Elmex und Aronal in Brand eins: “Zähneputzen ist ein Bußritual.” Bußrituale sind selbstverständlich ebenfalls ein wichtiges Gebiet der weltweit vernachlässigten Demutsforschung.
Ich will zum guten Ende kommen: Eine dieser Feen hat es tatsächlich geschafft, mir den Gebrauch von Zahnseide so Nahe zu bringen, dass ich diese kleine Folter jeden Abend ausübe. Ich weiß, dass sich jetzt einige meine Leserinnen und Leser voll Abscheu abwenden – aber, es tut nicht weh und danach fühlt man sich wie frisch geduscht. Es ist in jedem Fall angenehmer, als zum Beispiel Bauchnabelpulen.
Die Abbildung stammt aus Wikimedia Commons und steht unter Creative Commons Licence
Donnerstag, 16. August 2007
Mundhygiene und Datenschutz
Eingestellt von Reinhard um 19:34
Labels: Datenschutz, Demutsforschung, Kulturkritik, Wellness, Zahnpflege
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6 Kommentare:
Noch viel erfrischender als der Gebrauch von Zahnseide ist der Gebrauch einer Munddusche in Kombination mit vorherigem Zähneputzen mit elektrischer Zahnbürste! Danach wirst Du Dich wie neu geboren fühlen!
....und der Fortschritt in der Mundhygiene geht weiter: mit der neuen Oral-B Triumph (....für ein Lächeln, mit dem Sie triumphieren werden....) werden auch die Zahnzwischenräume gereinigt, so daß Zahnseide eigentlich überflüssig wird.
Offenbar haben Deine und meine Zahnfee wohl dieselbe dentalpflegerische Fortbildung besucht. Zahnseide wird meist am Ende einer so genannten PZR empfohlen und ist wieder schwer in Mode. An jeder Ecke hört man von ihr. Wurde aber auch Zeit, denn die Jahre ganz hinten im Regal für Mundhygiene waren lang genug. Multifloss muss es aber schon sein!
Lieber Sebastian,
da könnte jetzt wirklich eine abendfüllende Diskussion beginnen. Die Welt der Produktnamen folgt ganz eigenen Gesetzen und man weiß nie, ob man noch ganz auf der Höhe der Zeit ist und dasselbe meint, wenn man von gleichen spricht - oder auch umgekehrt. Es soll ja auch Softwareunternehmen geben, die ihre Produktnahmen schneller wechseln, wie Vertriebsmitarbeiter das Hemd. Wenn Du also Multifloss ansprichts, dann glaube ich Du meinst diese Zahnseide mit flauschigen Partien, die in weiten Zahnzwischenräumen und unter dunklen Brücken ihre Wirkung optimal entfalten kann.
Da habe ich einen Leidensweg hinter mich gebracht, den abzukürzen ich nur jedem anderen wünschen möchte. In kürzester Kürze nur Folgendes: Am Anfang verwendete ich Oral-B Superfloss. Wegen Qualitätsschwankungen in der Produktion wechselte ich zu einem Produkt von Meridol. Damit war ich sehr zufrieden. Der Punkt bei Meridol: Dieses Produkt verkauft mein Zahnarzt, in Drogeriemärkten konnte ich es bisher nicht finden. Dort kaufte ich kürzlich elmex multi-floss. Dieses elmex multi-floss hat eine Eigenschaft, die suboptimal zu nennen, schon ein Lob wäre. An den Enden der Zahnseide fehlt die Steifigkeit, um den Floss-Teil bequem in die dunklen Abgründe der Mundhöhle zu transportieren. Meridol hat da die richtige Steifigkeit und zudem noch die richtige Bauchigkeit, die das Pfegeerlebnis in ein erfolgreiches Bußerlebnis verwandelt.
Wir können das Thema gerne noch vertiefen. Natürlich ist das nur ein theoretisches Problem, da weder Du noch ich abnorme Zahnzwischenräume noch gewagte Brückenkonstruktionen in unserem Mund mit uns herumtragen. Zahnstellungsfehler sind ja im wesentlichen ein Unterschichtproblem.
Die Dame sollte Detektivin werden.
(und was stand in diesem gelöschten Kommentar!??? Verdammt. Quälende Neugier und Lust am Skandal.)
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