Dienstag, 17. Juli 2007

Ungelöste Menschheitsfragen II


Vermutlich klagen wir auf so hohem Niveau – man könnte auch “nörgeln” dazu sagen – dass uns zu ungelösten Menschheitsfragen nicht viel einfällt. Vielleicht sollte ich Norweger dazu befragen. Ich habe mich deshalb selbst auf die Suche begeben, und bin auf kuriose Dinge gestoßen. Weitergebracht hat mich aber letzlich der einzige eingegangen Kommentar zu meinem Beitrag “Ungelöste Menschheitsfragen”.

Google AdWords weiß Rat auf solche Fragen und eBay bietet diese zum “Sofort-Kaufen!” an. Ich frage mich: Wer kauft denn Fragen? Ich hätte da noch einige und das könnte – vorausgesetzt es gäbe eine echte Nachfrage – ein florierendes Geschäftsmodell sein.

Auf dem Klappentext des Hörbuchs “Wenn Worte reden könnten”, des Künstlers Jochen Malmsheimer, habe ich folgende Sätze gefunden: “Als Künstler ist man, von wem auch immer, gehalten, den drängendsten Menschheitsfragen, nach dem "Wieso" und "Warum" etwa oder dem "Wann eigentlich?" unserer Existenz nachzugehen. Doch was soll man mit der Zeit zwischen Mittagsschlaf und den 18:00-Uhr-Nachrichten anfangen, wenn diese Fragen beantwortet sind?” Wenn Worte reden könnten, hätten wir darauf vielleicht längst schon eine Antwort gefunden. So aber driften wir nach dem Mittagsschlaf in ein Niemandsland.

Die Frage, was wir tun, wenn alle Menschheitsfragen gelöst sind, hätte das Potenzial, in eine Liste ungelöster Menschheitsfragen aufgenommen zu werden. Allerdings arbeitet Bazon Brock, Professor für Kunst und Ästhetik an der Universität Wuppertal, schon lange an einer möglichen Antwort. Seine Hypothese ist, dass die Vollendung des Werks – und damit Ruhm, Ehre und Beständigkeit – nur erlangt wird, indem die Protagonisten ganz am Ende am Scheitern arbeiten. Er nennt dies “Die Philosophie des Scheiterns als Form der Vollendung”. Sollte Brocks Hypothese richtig sein, wäre diese Frage gelöst und von der hypothetischen Liste der ungelösten Menschheitsfragen zu löschen. Wir hätten zwischen Mittagsschlaf und 18-Uhr-Nachrichten wieder jede Menge zu tun.

Erstaunlicherweise eröffnete der einzige Kommentar, der zu diesem wichtigen Thema eintraf, eine ganz neue Sichtweise. Sebastian schrieb: “Warum gibt es kein Katzenfutter mit Mausgeschmack?” Es gibt eine Website, die ähnlich blödsinnige Fragen auflistet: “Was sehen weiße Mäuse, wenn sie besoffen sind?” ist noch eine der Originellsten. Die Frage von Sebastian hat allerdings ein Potenzial, das leicht übersehen werden kann. Dieses Potenzial liegt in den Annahmen, die in der Frage stecken. Ich kenne keinen Menschen, der weiß wie rohe Mäuse schmecken. Bedauerlicherweise gibt es sicher mehr Menschen, die darüber Auskunft geben könnten, wie Katzenfutter schmeckt. Aber eben Niemanden, der die Geschmacksdifferenz zwischen frischem Katzenfutter und rohem Mausgeschmack überprüft hätte.

In Sebastians Frage steckt also eine Annahme, die sich nicht so leicht überprüfen läßt. Es steckt aber noch eine zweite Annahme darin, die viel grundsätzlicherer Natur ist. Wer sagt, dass Katzen Mäuse fressen, weil sie ihnen schmecken? Diese Frage hinter der Frage, führt uns in das weite Feld der Evolutionstheorie. Vielleicht würden Katzen viel lieber Kühe fressen, Schabrakentapire oder Krokodile. Hätten sie sich nörgelnd und mäkelnd, in den Jahrtausenden der Evolution dem widerlichen Genuß von Mausspeisen – oder auch Jungvögeln, Jungkaninchen, Ratten und Hamstern – widersetzt, dann gäbe es heute vermutlich keine Katzen mehr. Der Satz “survival of the fittest” läßt sich gut mit dem allseits verständlichen Satz übersetzen, "Aus der Not, eine Tugend machen”. Katzen sind – so behaupte ich – froh darüber, dass sie Haustiere sind, Katzenfutter bekommen, das nach Fisch schmeckt und Mäuse nur noch als Spielzeug interessant sind.

Vor einigen Tagen habe ich mich mit einigen Haustierexpertinnen über die Frage unterhalten, warum Katzen so gerne Fisch mögen. Alle waren der Meinung, dass dies eine der ungelösten Menschheitsfragen sein könnte. Katzen mögen Wasser nicht, sie wollen sich beim Schwimmen nicht naß machen – aber sie lieben Fisch. Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass Prionailurus viverrinus – die südostasiatische Fischkatze – den evolutionären Sprung, weg von den Mäusen und hin zu den Fischen geschafft hat. In Indien, wo diese Spezies lebt, ist auf absehbare Zeit nicht zu erwarten, dass Katzenfutter mit Fischgeschmack flächendeckend verfüttert werden wird. Die Fischkatze hat, vor ungenannten Zeiten, ohne Hilfe zur Selbsthilfe, ihre Scheu vor Wasser überwunden, um endlich das zu fressen, was ihr schmeckt.

Dieser kurze Exkurs in die Evolutionstheorie und die Ernährungsgewohnheiten der Katzen – veranlaßt durch Sebastians Frage – führt uns direkt zu einer wirklichen ungelösten Menschheitsfrage. brand eins fragt in seiner letzten Ausgabe: “Zu viel! – Überleben im Überfluss”? Kurz und übersichtlich zusammengefasst bedeutet dies: Mangel führt dazu, dass man frißt was man bekommen kann. Überfluß dazu, dass man nicht mehr weiß, was man fressen soll. Wir haben bisher aus der Not eine Tugend gemacht. Mit der Not kommen uns die Tugenden abhanden. Wir stehen ratlos vor der Frage, wie gehen wir mit schmackhaftem Katzenfutter um. Wolf Lotter erklärt in brand eins:

“Der Abschied aus der jahrtausendelangen Mangelgesellschaft hat begonnen. Mit der Industrialisierung wurden Massen mobilisiert, die zusehens immer größere Mengen an Produkten für alle bereitstellen konnten. Das war der Anfang vom Ende des Mangels als zwangsläufigem Schatten der Menschheit. Doch der Mangel im Kopf ist geblieben, weil sich anderes noch nicht wirklich vorstellen lässt. Die Fragen lauten: Wie geht man mit Überfluß um? Wie begegnet man den Möglichkeiten, die die Vielfalt des Marktes bereitstellt? Was kommt eigentlich, wenn alle alles haben?"


Soviele ungelöste Fragen. Ob Götz W. Werner darauf eine Antwort geben kann?

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Zum Thema Katzenfutter und Überfluss gibt es einen schönen Artikel im Spiegel online vom 20.07.07:


Ramsch im Getriebe
Von Ullrich Fichtner

Edel speist das Katzentier, doch, oh Graus!, was fressen wir? In Deutschland werden Haustiere oft genug verköstigt wie Könige, nur wir Menschen essen auch ohne Not wie Bettler. Das ist nicht nur ungesund, sondern auch zynisch!

Wer wissen will, was kulinarisch wirklich los ist in der Welt, der muss nur mit offenen Augen durch einen Supermarkt gehen und die Preise vergleichen. Er wird dabei fest stellen, dass es völlig normal und alltäglich ist heuzutage, dass 100 Gramm Katzenfutter der Marke "Felix Schlemmer-Paté mit Hähnchen" fünf bis acht Cent billiger sein können als der "Premium-Schweinerücken" von der Schlachtertheke, er wird lernen, dass französische Maishühner oft nicht teurer sind als das Hundefutter "César", und natürlich kostet das Öl für den geliebten Automotor stets mehr als die allermeisten Öle, die wir uns ins körpereigene Getriebe kippen.

Essen ist Ramschware geworden, Tiere, Pflanzen, Lebensmittel sind auf den Wühltischen der Globalisierung gelandet, und es soll niemand glauben, das sei immer so gewesen. In den fünfziger Jahren des letzten Jahrhunderts, und das ist bei Licht betrachtet gar nicht so lange her, mussten die deutschen Haushalte glatt die Hälfte ihres Einkommens fürs Essen ausgeben, diese Kennzahl ist in Deutschland geschrumpft auf 11 Prozent und weniger, dahinter steckt eine ungeheuerliche Umschichtung.
Man kann sagen, wir sparen uns die iPods und die DVD-Player, die Rollerblades und die Autos buchstäblich vom Munde ab. Essen muss billig sein - damit es unseren sonstigen Konsumgewohnheiten nicht störend in die Quere kommt, es hat sich einzufügen in einen "Way of Life", der uns vorschreibt, dass originelle Klingeltöne fürs Handy wichtiger sind als die Qualität von Butter oder Brot, und das ist, finde ich, ein starkes Stück.

Wer deshalb ständig darüber klagt, dass er kein Geld fürs bessere Essen hat, und ich bekomme solche Leserbriefe ständig, der schweigt in der Regel davon, wofür er sein Geld wirklich ausgibt. Wir, das heißt: die allermeisten von uns, leben nicht wirklich in einer Welt des Mangels, sondern in einer Welt absurd veränderter Prioritäten. Ich kenne Leute, die sich tagein, tagaus von Leberwurstbroten ernähren, damit sie die Leasing-Raten fürs Auto abbezahlen können. Ich kenne Leute, die sich für Fernreisen und sinnlose Elektrogeräte auf Jahre hinaus verschulden, aber fürs Essen jeden Cent nur mit größtem Widerwillen ausgeben. Sind das vernünftige Prioritäten?

Natürlich: Es kann und soll jeder tun und lassen, was er will. Nur schadet es nichts, die eigenen Lebenseinstellungen von Zeit zu Zeit zu überprüfen. Es schadet nicht, sich Rechenschaft abzulegen über schlechte Angewohnheiten, über bewusstloses Konsumieren, es schadet nicht, ab und zu kurz innezuhalten und sich zu fragen: Will ich das, dieses Leben, das ich führe, wirklich? Oder könnte auch alles ganz anders sein?

Unzufriedenheit im Überfluss

Ich weiß schon, das klingt hochtrabend, moralisch, altmodisch. Aber Essen und Trinken sind existenzielle Notwendigkeiten und so ist es kein Wunder, dass sich existenzielle Fragen mit ihnen verbinden. Wer isst, wer trinkt, wer sich mit Lebensmitteln versorgt, trifft Entscheidungen, die über das bloße Sattwerden weit hinaus gehen. Du bist, was du isst - das ist ein Sinnspruch so abgedroschen, dass es weh tut, aber wer Fleisch einkauft billiger als Katzenfutter, der hat allen Grund über ihn nachzudenken.

Ja, ich gebe es zu, ich hatte beim Schreiben dieser Kolumne schlechte Laune. Das mag damit zusammen hängen, dass ich eben, in meinem eigentlichen Hauptberuf als SPIEGEL-Reporter, drei Wochen lang durch den Irak gereist bin. Dort geht es wirklich um Mangel, dort geht es um Trinkwasser und um Mehlrationen, es geht darum, irgendwie satt zu werden, die Kinder durchzubringen, es geht darum zu überleben. Vielleicht geht mir deshalb die ewige deutsche Unzufriedenheit im Überfluss gerade ganz besonders auf den Wecker, wer weiß.

Aber mein eigentlicher Punkt hier ist ein anderer. Ich lerne, wenn ich mit echter Not konfrontiert bin, unser schönes, westeuropäisches Leben noch mehr zu schätzen als ich es ohnehin schon tue. Ich fühle mich aufgefordert, an diesem schönen Leben nicht immerfort herumzumeckern, sondern an ihm teilzunehmen und das Beste aus ihm zu machen. Nein, es ist kein Zynismus, über gutes Essen zu reden, obwohl andere bitter hungern müssen. Zynisch ist es vielmehr, den eigenen Reichtum überhaupt nicht mehr zu begreifen, ihn für selbstverständlich zu halten, blind zu werden für ihn. Zynisch ist es, ohne Not Dreck zu fressen, obwohl man frei wäre, es nicht zu tun. Zynisch ist Katzenfutter teurer als Fleisch.

In diesem Sinne: Guten Appetit und gute Nacht!

Roger

Anonym hat gesagt…

Vor den ungelösten Menschheitsfragen sollten doch erst mal die "Ungestellten Fragen des Alltags"
beantwortet werden:
z.B. ob Fische vom Blitz getroffen werden können.........