Es gibt Aussagen, die schreien geradezu nach Zustimmung. Die dritte These des Projekts rethinking business ist so ein Fall. Im Detail ist dann aber doch etwas schwieriger.
These # 03
Nur offene Gesellschaften sind kreativ. Die Demokratie ist ein vergessener Standortfaktor.
Richtig! Man muß schon mal die Zähne zeigen, gegen die Putins, Kim Jong-ils, Mahmūd Ahmadī-Nežāds und die anderen Fundamentalisten, Despoten und Diktatoren in dieser Welt. Demokratie wollten wir nicht mißen, selbst wenn sie kein Standortfaktor wäre. Also warum nicht das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden?
Diese Be- trachtungsweise ist zumindest originell. Standortfaktoren sind weich oder hart. Harte Standortfaktoren wie Steuern, Abgaben, Infrastruktur, Lohnkosten und viele andere mehr, stehen auf der Checkliste der internationalen Konzerne ganz oben, wenn es darum geht zu entscheiden: Verlagere ich meine Kronkorkenproduktion nach Usbekistan oder nach Indien? Die weichen Standortfaktoren wie Wirtschaftsklima, Bildungsangebot, Umweltqualität, Kulturangebot kommen ins Spiel, wenn statt der Kronkorkenproduktion, die Kronkorkenforschung ausgelagert werden soll. Und da ist Demokratie ein weiterer weicher Standortfaktor.
Für Kronkorkenforscher sind Demokratien viel angenehmer als Diktaturen oder fundamentalistische Regime. Sie können sich im Internet anschauen, was sie wollen, können nach der Arbeit einen Trinken gehen, sich mit anderen Kronkorkenforschern treffen und sich - falls nötig - gewerkschaftlich organisieren. Die Elite der Kronkorkenforschung könnte man kaum mit dem Angebot locken, “Leute kommt nach Machatschkala, wir machen hier ne große Sause.” Nach Fallingbostel kämen sie vielleicht schon.
Nehmen wir wieder das Beispiel iPod aus dem Beitrag zur ersten These. Für die Entscheidung, wo der iPod produziert und zusammengebaut wird, zählen die harten Standortfaktoren. Für die Entscheidung, wo er ersonnen und konzipiert wird, zählen die weichen. Deshalb ist vollkommen unklar, was Demokratie als Standortfaktor im globalen Wettbewerb wirklich bringt.
Sind offene Gesellschaften kreativ? Ich erinnere mich an meine Besuche in der zerfallenden DDR der späten 80er Jahre. Alle Menschen mit denen ich sprach, waren in höchstem Maße darauf trainiert, die Lücken im System in kreativer Weise auszunutzen. Es gab da inmitten der Mangelwirtschaft prachtvolle Datschen und wohlhabende Handwerker. Jeder einzelne hatte die Fähigkeit entwickelt mit den Unzulänglichkeiten des Systems zurechtzukommen. Allerdings: Wenn der Einzelne in einer Gesellschaft kreativ ist, heißt das noch lange nicht, dass die Gesellschaft kreativ ist. Schließlich ist die DDR untergegangen.
Aber ist die Bundesrepublik Deutschland des 21. Jahrhunderts eine kreative Gesellschaft? Ich fürchte die Antwort ist nein. Wir sind sicherlich eine Gesellschaft, die dem Individuum große Freiräume garantiert – eben eine Demokratie. Diese individuellen Freiheiten erzeugen eine gewisse Dynamik, die zu Innovationen führt – zu Innovationen in den klassischen Ingenieursdisziplinen, weil wir hier immer noch Weltmeister sind. Aber sind wir Vorreiter bei sozialen Innovationen und Vorbild in Bezug auf die Dynamik des politischen Systems? Die Antwort ist nein.
Als Ethnologe hüte ich mich die Reichweite meines kulturellen Horizonts auf die ganze Welt anzuwenden. Nehmen wir noch einmal den iPod als Beispiel. Warum wurde der iPod nicht in Marrakesh erfunden, in Damaskus, Islamabad, Tiflis oder Machatschkala? Weil das Produkt iPod nur in das kulturelle Muster einer marktwirtschaftlichen Ordnung passt, die der Freiheit des Individuums als Konsument einen hohen Wert beimißt. Das "i" steht nicht nur für die Eitelkeit von Steve Jobs ("I made it!") sondern vor allem für das Personalpronomen in der ersten Person Singular: Ich.
Der iPod steht für meine persönliche Freiheit. Er steht für meine Freiheit überall und zu jeder Zeit meine Musik hören zu können, meine Bilder bei mir zu haben und meine Videos anschauen zu können. Den iPod gibt es, weil es eine technische Infrastruktur gibt, eine Zielgruppe im kaufkräftigen Teil der Welt, einen Businessplan, eine globale Lieferkette und ein kulturelles Muster, auf das er passt, wie der Kronkorken auf die Flasche.
Wo in Teehäuser Pfefferminztee getrunken wird, denkt man nicht an Kronkorken. Was nicht heißt, dass es dort weniger kreativ zugeht, als in Cupertino.
Das Foto stammt aus Wikipedia und steht unter Creative Commons Licence
Dienstag, 31. Juli 2007
Thesen und Tatsachen III – Kronkorken oder Pfefferminztee
Eingestellt von Reinhard um 23:23
Labels: Ethnologie, iPod, Kreativität, Kronkorken, rethinking business
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1 Kommentar:
Die BRD ist wohl eher eine bürokratische Gesellschaft....
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