Erratische Blöcke, um mein letztes Thema als Überleitung zu nutzen, findet man auch bei der Lektüre der Wirtschaftspresse. Ein Findling kam mir bei der Lektüre der letzten Ausgabe des manager magazin unter die Augen. Erratisch ist dieser Artikel deshalb, weil er wenig Information enthält, dafür aber zu literarischen Höhenflügen ansetzt. Maurice Ravel sagte über sein Stück Bolero: “Schade nur, dass es überhaupt keine Musik enthält.” Ähnlich kann man über den Artikel Blockadepolitik von Klaus Boldt urteilen.
Worum geht es in diesem Artikel? In wenigen Sätzen kann der Informations- gehalt zusam- mengefasst werden: Um den neuen Haupt- stadt-Superflug- hafen in Berlin Schönefeld bauen zu dürfen, mußte das Land Berlin die Schließung der Flughäfen in Tegel und Tempelhof zusichern. Allerdings, so ein Rechtsgutachten, würde ein eingeschränkter Flugbetrieb in Tempelhof, den Planfeststellungsbeschluß zugunsten des Großflughafen Schönefeld nicht gefährden. Der Berliner Senat – mit Klaus Wowereit an der Spitze – hat einen Planfeststellungsbeschluß, aber keinen Plan, was aus Tempelhof werden soll. Der Unterhalt der Immobilie kostet das Land Berlin jährlich rund 15 Millionen Euro. Jetzt steht mit Ronald S. Lauder, dem Sohn von Estée Lauder, ein potenter Investor auf der Matte. Mister Lauder will 480 Millionen Dollar investieren, 1000 Arbeitsplätze schaffen und hat ein gutes Konzept. Dieses Konzept erfordert aber, dass in Tempelhof ein eingeschränkter Flugbetrieb stattfinden kann. Klaus Wowereit und der rot-rote Berliner Senat üben sich im Tricksen und Täuschen und wollen den Investor mit sanfter Ironie abschrecken. Die Pläne von Ronald S. klängen, so Wowereit, doch wie ein “Märchen ” vom “reichen Onkel aus Amerika”. Lauder läßt sich davon jedoch nicht entmutigen und so läuft die ganze Geschichte auf einen Showdown zu, der dem rot-roten Senat die Legitimation kosten könnte.
Soweit der Informationsgehalt und die Fakten. Klaus Boldt braucht dafür vier Druckseiten und das hat seinen Grund. Man findet in diesem Artikel Formulierungen, die man in einem Medium, wie dem manager magazin nicht erwartet.
Seinen Eindruck von Ronald S. Lauder beschreibt der Journalist wie folgt (bermerkenswerte Formulierungen sind kursiv hervorgehoben): “Lauder ... hat das seelenruhige Naturell des Diplomaten. Er vermeidet überflüssige Bewegungen, wie Gesten sie bisweilen notwendig machen, trägt eine Patek Philippe von 1912, und hat den etwas verhangenen Blick eines Herzogs, der die Vorteile höflicher Formalitäten zu schätzen weiß. Freundlichkeit klappt auf wie ein Regenschirm.” Auf Fragen antworte der verhangene Herzog mit “mehligem Lächeln”.
Man kann daraus schließen, dass Gesten bei Mister Lauder nicht vorkommen, und die Mimik weitgehend “verhangen” ist. Das erinnert an bestimmte Szenen aus den Sketchen von Mister Bean. Was allerdings ein “seelenruhiges Naturell” sein soll, kann ich nur ahnen. Seelenruhig, so erwartet man das Unvermeidliche oder, dieser Zustand stellt sich unvermittelt ein, wenn man in einer Extremsituation agieren soll. Mit einem ruhigen oder ausgeglichenen Naturell könnte ich etwas anfangen, aber warum hier die Seele bemühen wird, ist eine Frage, auf die der Autor die Antwort schuldig bleibt. Ein “mehliges Lächeln” hingegen ist ein Bild, das ich auch schon einmal irgendwo gesehen habe. War nicht Marlon Brando in dem Mafia-Epos Der Pate damit ausgestattet? Ob die Patek Philippe dazu passt? Vielleicht dann doch eher eine Rollex.
Wowereit hingegen und der ganzen politischen Mischpoke, die den Investor zu vergraulen trachtet, werden “persönliche Animositäten” unterstellt. So sei die Formulierung vom “reichen Onkel aus Amerika” eine Bemerkung, “mit der der Regierende die Pläne derb-kennerhaft ernüchterte und sozusagen dämonisch umwitterte, ja in linkspolitische Zweifel zog.” Wow, Wowereit – was geht da ab? Derb-kennerhaft ernüchtern und dämonisch umwittern? Das ist schon die hohe Kunst der Sabotage, bei der ein Leser wie ich ernüchtert aussteigt. Einige Zeilen später werden die politisch Handelnden auch noch in den “Ruch des völlig Verkrustet-Verfilzten” gerückt.
Was für mich als Leser der vier Druckseiten bleibt, ist der Eindruck, dass hier mehlig lächelnde Mafiabosse gegen die verkrustet-verfilzte Berliner Politikmafia antreten. Das Lächeln der Berliner Politiker würde ich mir als verbissen vorstellen. Dabei wäre mir ein Flughafen Tempelhof nur recht, da ich dann weiterhin Berlin-Mitte in zwei Stunden erreichen könnte. Linkspolitische Zweifel sind mir da vollkommen egal. Was außerdem bleibt ist, dass der Autor Klaus Boldt weit über das Ziel hinausschießt. Ein nüchterner Bericht über die Fakten hätte eine weitere Anzeigenseite frei gemacht. Stattdessen wird das Thema dramatisch so überhöht, dass mir am Ende alle Beteiligten so zuwider sind, dass ein rationales Urteil kaum noch möglich ist.
Lieber Klaus Boldt, in ihrem Blog würde ich so etwas vielleicht gerne lesen, aber nicht in einem Magazin, das ich für teures Geld abonniert habe.
Lieber Klaus Wowereit, schwulsein allein enthebt einen nicht auf Dauer den Schwulitäten der Tagespolitik. Weniger Event-Hascherei und mehr Substanz sei hier angeraten.
Lieber Ronald S. Lauder, bei mir kommt Ihr Stil an. Aber bei Interviews mit Top-Jornalisten sollten Sie sich einer lebhafteren Gestik und eines weniger verhangenen Blickes befleißigen. Vielleicht könnten Sie ihrem Lächeln auch ein wenig Süßstoff hinzufügen.
PS: Einige meiner treuesten Leser bemängelten den fehlenden Branchenbezug in meinen letzten Postings. Ich kann nicht ganz ausschließen, dass Findlinge in Freundesgärten zu selbstverliebt den Focus verengen, und die drängenden Probleme unserer Zeit unkommentiert bleiben. Deshalb der Themenwechsel. Lesermeinungen und Kommentare sind natürlich willkommen.
Quellen: Das verwendete Bild der Empfangshalle des Flughafens Tempelhof stammt aus Wikipedia. Informationen zum Copyright findet man hier.
Dienstag, 10. Juli 2007
“manager magazin” hebt ab
Eingestellt von Reinhard um 21:44
Labels: Berlin, Medienkritik, Tempelhof
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