Sonntag, 29. Juli 2007

Zum Stand der Demutsforschung in Deutschland


Ginge es nur darum, kurz zu referieren, wie in Deutschland über Demut geforscht wird – wir wären bereits am Ende angelangt. Die Demutsforschung ist in Deutschland nicht existent. Wahrscheinlich gibt es sie nirgends auf der Welt. Das könnte sich als Fehler erweisen.

Die Anzeichen mehren sich, dass eine – selbstverständlich interdisziplinär zu organisierende – Demutsforschung eine große Zukunft haben könnte. Damit ist nicht unbedingt gemeint, dass die Bild-Zeitung die Demutsgeste von Willy Brandt vor dem Ehrenmal des jüdischen Gettos in Warschau für ihre Leserwerbung benutzt. Ein Anzeichen dafür ist eher der inflationäre Gebrauch des Wortes Nachhaltigkeit. Der Begriff der Nachhaltigkeit definiert die ethische Maxime für zukünftiges globales Handeln: “Entwicklung zukunftsfähig zu machen,” und dafür zu sorgen, “dass die gegenwärtige Generation ihre Bedürfnisse befriedigt, ohne die Fähigkeit der zukünftigen Generation zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse befriedigen zu können.” Diese Formulierung stammt aus dem Abschlußbericht der Brundtland-Kommission von 1987, die sich im Auftrag der UN mit dem Thema Umwelt und Entwicklung befasste. Nicht ganz unerheblich ist, dass der Begriff aus der Forstwirtschaft stammt und dort eine Wirtschaftsweise bezeichnet, bei der immer nur so viel Holz entnommen wird, wie nachwachsen kann. Das klingt doch nachhaltig vernünftig.

Man mag sich fragen, was das mit der zukünftigen Bedeutung der Demutsforschung zu tun hat. Um diesen Zusammenhang zu verstehen, muss man die lateinische Übersetzung des Wortes bemühen. Demut, lateinisch humilitas – von humus abgeleitet – ist gewissermaßen der Boden, aus dem der Samen der Gnade zur Frucht heranwächst. Wald, Samen, Frucht – na, klingelt irgendwas?

Die Formulierung “der Samen der Gnade” weist uns den Weg in die Nische, in der die Demut das Zeitalter der Aufklärung, des unbeschränkten Wachstums und der wissenschaftlichen Rationalität überleben konnte. Demut ist heute ein ausschließlich vom Christentum besetzter Begriff – die jüdische Religion und den Islam wollen wir jetzt mal unberücksichtigt lassen. Demut steht für ein gottgefälliges, schicksalsergebenes, bescheidenes, selbstloses, dienendes und demütiges Leben. Kein Wunder, dass der Begriff vermodert riecht. Frank Zappa hat sich übrigens in ähnlicher Weise über Jazz geäußert haben. Überliefert ist folgendes Zitat: “Jazz ist nicht tod. Er riecht nur etwas streng”.

Immanuel Kant versuchte vor über 200 Jahren, dem Begriff der Demut einen zukunftsweisenden Drall zu geben. “Mit der wahren Demut”, so schrieb er, “ist zugleich Erhebung, Selbstschätzung der eigenen inneren Würde (als sittliches Wesen) verbunden.” Und unserem “Eigendünkel” sollte durch Demut eine enge Grenzen gesetzt sein. Man hat in den letzten 200 Jahren nicht auf ihn gehört.

Kein Wunder, dass wir uns jetzt wieder an dieser Stelle befinden. Heute jedoch stehen die Zeichen gut, die Demut aus dem Sarg des konservativ-christlichen Miefs zu befreien. Die Belege dafür will ich nicht schuldig bleiben.

Erstens: Die Berner Tageszeitung Der Bund titelte in seiner Ausgabe vom 31. Mai 2005 über den Eidgenossen und Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Bank Josef Ackermann: “Demut statt Arroganz”. Die ganze deutschsprachige Wirtschaftspresse hat seither das Thema Ethik und Demut für sich entdeckt.

Zweitens: Wenn bereits der intelligentere Teil der Erstligapieler der Deutschen Fußballbundesliga den Begriff Demut benutzt, dann können wir hoffen, dass bald auch Uli Hoeneß den Weg zur Demut findet. Sebastian Kehl sagte in einem Interview mit sport1 auf die Frage, ob Borussia Dortmund in der kommenden Saison wieder zum Kreis der Topteams zähle: “(...) wir sollten nicht vergessen, dass wir ein sehr schwieriges Jahr hinter uns haben. Ein wenig Demut ist immer noch angebracht. Wir dürfen nicht wieder in höchsten Sphären denken.”

Drittens: Mein Freund Jochen legte mir vor einigen Wochen einen Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung auf den Tisch, der mit den Worten schloß: “Dann erreicht man vielleicht sogar das, was (…) die Grundvoraussetzung für erfolgreiches Problemlösen ist:'fröhliche Demut.'” Der Artikel hatte die Überschrift “Durchwurschteln, aber richtig!” Es ging um die Frage, wie der menschliche Geist mit komplexen Entscheidungssituationen am besten fertig werden kann. Durchwurschteln, in Verbindung mit einem wachen Geist und einer hohen strategischen und taktischen Flexibilität, ist eine der erfolgreichsten Methoden. Die Voraussetzung dafür, wie wir bereits lasen: fröhliche Demut.

Viertens: Ein in gewerkschaftlichen Zusammenhängen gefangener Freund äußerte auf die Frage zum Konflikt, um die Auslagerung der Service-Sparte bei der Telekom: “Gewerkschaften können nicht scheitern!” Ein Befund, der nahelegt, dass Gewerkschaften zwar gedemütigt werden, aber dies in jeder Hinsicht dementieren würden. Für die Demutsforschung sind die Gewerkschaften völlig ungeeignete Probanten.

Fünftens: Professor Stephan A. Jansen, der Gründungspräsident und Geschäftsführer der Zeppelin Universität in Friedrichshafen forderte in einem Beitrag für die Financial Times Deutschland vom 16. November 2004 unter den Stichworten Mut und Demut: “Manager sind Agenten der Wahrscheinlichkeiten. Ihre Funktion: Unwahrscheinliches wahrscheinlich zu machen und zu realisieren.(…) Das erzwingt eine für die erfolgsgewöhnte Betriebswirtschaftslehre noch unübliche Auseinandersetzung mit der üblicheren Praxis des Scheiterns.”

Professor Stephan A. Jansen hat übrigens im neuen brand eins ein interessantes Interview zum Thema “Programmierte Paranoia” gegeben. Seine Aussagen in diesem Interview schlagen in die gleiche Kerbe, was die Beherrschbarkeit komplexer Strukturen betrifft. Für einen zukünftig zu etablierende Lehrstuhl der Demutsforschung in Deutschland sind Prof. Stephan A. Jansen und Bazon Brock, mit seiner Theorie der Vollendung durch Scheitern, ganz heiße Kandidaten. Auch ich würde da gewisse Ansprüche anmelden.

Eine Beobachtung der letzten Wochen kann ich noch nicht ganz einordnen. Ich vermute es handelt sich dabei ebenfalls um einen ernstzunehmenden Trend, der vielleicht auch mit der Renaissance des Begriffs Demut zu tun hat.

Kurz nachdem die ersten Dopingfälle bei der diesjährigen Tour de France bekannt wurden, wollte ich Boule-Kugeln kaufen. In allen einschlägigen Geschäften waren diese jedoch ausverkauft. Mutmaßlicherweise hatte sich eine nicht unerhebliche Zahl meiner Zeitgenossen dazu entschlossen, statt einem breit angelegten Drogenexperiment von Pedaltretern im Fernsehn beizuwohnen, selbst in den Leistungssport einzusteigen. Boule steht nicht im Verdacht, dass durch die Einnahme verbotener Substanzen, Leistungssteigerungen zu erwarten wären. Im Gegenteil: Beim Boule-Spiel sollte man mit buddistischer Gelassenheit und Demut den Dingen ihren Lauf lassen. Am besten spielt sich Boule immer noch mit einer Zigarette im Mundwinkel und einem Glas Rotwein in der Hinterhand. Gibt es ein besseres Symbol für die Wiederentdeckung des menschlichen Maßes im Leistungssport?


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