Montag, 30. Juli 2007

Autopoietische Systeme als mobile Plakatflächen


“Ein Plakat ist eine Fläche die ins Auge springt!” heißt ein inzwischen vergriffenes Buch von Hans Hillmann und Gunter Rambow. Für den Springreitsport ist das eine Aussage mit Zukunftspotenzial.

Im Vorfeld der Springreiter Europameisterschaft vom 14. bis 19. August in Mannheim wurde vom Veranstalter, der Fédération Equestre Internationale (FEI) mit Sitz in Lausanne, die Aktion 100 Favoriten – unser Pferd für die EM gestartet. Schulen und Bildungseinrichtungen bemalten 100 Pferde aus Fiberglas. Die Ergebnisse sind seit einigen Wochen in den Straßen Mannheims zu sehen.

Was zunächst wie ein harmloser Kreativitätswettbewerb aussah, hat höchst wahrscheinlich einen handfesten wirtschaftlichen Hintergrund. Andere global agierende Sportverbände mit Sitz in der Schweiz, wie die FIFA oder das Internationale Olympische Komitee, sind der FEI, was die Vermarktung ihres Sports betrifft, weit enteilt. Die Aktion 100 Favoriten – unser Pferd für die EM hat als eigentliches Ziel, die Tauglichkeit von Sprinpferden als aufmerksamkeitsstarke Werbeträger zu erforschen.

Man stelle sich vor: Pferde tragen in Zukunft hautenge und atmungsaktive Ganzkörper- anzüge, mit denen Sponsoren ihre Botschaften mitten ins Herz der zahlungs- kräftigen Zielgruppe der Pferdesportbegeisterten springen lassen können. Da winkt ein Riesengeschäft. Mit einem der Prototypen (siehe nebenstehendes Bild), will man vermutlich einen Giganten der Softdrink-Branche von der Idee überzeugen. Auch das Pentagon und Fleurop scheinen interessiert (siehe die Bilder unten).

Die einzige Hürde für eine erfolgreichere Vermarktung des Springreitsports – gleichsam der Doppelochser mit Wassergraben – ist: Zaumzeug, Sattel und Reiter stören das Konzept. Der Reiter lenkt durch sein Gezappel die Zielgruppe von den Botschaften ab. Der Sattel würde die Werbefläche teilweise verdecken. Ohne Sattel und Reiter ist Zaumzeug sowieso überflüssig. Vermutlich denkt man im Hauptquartier der FEI darüber nach, Pferde künftig als autopoietische Systeme aufzufassen, die aus Gründen der Selbsterhaltung auch ohne Reiter den Weg über den Parcours finden. Was in experimentellen Forschungen und in der Praxis mit Eseln (Mohrrübe) und Windhunden (falsche Hasen) funktioniert, sollte für ein durchschnittlich intelligentes Pferd eigentlich kein Problem sein.

Ich könnte mir vorstellen, dass die Pferde hier sehr schnell Zustimmung signalisieren würden. Wäre es doch eine erhebliche Erleichterung für sie, den Parcours ohne die Teils nervösen, Teils ängstlichen und Teils hilflosen Steuerungsversuche ihres menschlichen Ballasts zu bewältigen. Großer Widerstand ist allerdings von den Sattelproduzenten, Zaumzeugherstellern und Reitern zu erwarten. Die einen wollen weiterhin ihre Produkte absetzen und die anderen wollen auf's Siegertreppchen.

Reiter sollten sich, obwohl sie in der FEI über eine einflußreiche Lobby verfügen, darauf einstellen, dass es in Zukunft im Pferdesport auch ohne sie gehen könnte. Auch sprachlich könnte man sich dann kürzer fassen. Man müßte nicht mehr Ross und Reiter nennen. Das Ross würde genügen. Als Alternative für arbeitslose Reiter bietet sich die Trendsportart Parkour an. Nicht nur wegen der phonetischen Ähnlichkeit von Parcours und Parkour sei dies empfohlen. Beim Parkour geht es ebenfalls nur darum, in kürzester Zeit Hindernisse zu überwinden – allerdings ohne Pferd. Hautenge und atmungsaktive Ganzkörperanzüge für die Athleten befinden sich bereits in der Entwicklung. Viel Spaß, wünsche ich den deutschen Springreitern als Fläche, die ins Auge springt.


Die Fotos stammen vom Autor des Beitrags und stehen unter Creative Commons Licence

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Nun, lieber Reinhard,
das sind interessante Aspekte - und möglicherweise solltest Du die nachgerade geniale Idee patentieren lassen. Allerdings solltest Du die Doping-Frage geklärt haben - schließlich könnten die Hightech-Fasern die Paare auch schneller galloppieren lassen...und schon den letzten großen Doping-Skandal im Reitsport gab es bei einer Europameisterschaft. Wo war das doch gleich? Richtig! 1997 in Mannheim! Damals wurde uns Hugo - ebenfalls Kind der Metropolregion und ewiger Starter für Österreich (weil ihn in Deutschland keiner haben wollte?) wegen "unerlaubter Behandlung" (Doping konnte nicht nachgewiesen werden) in der Schlussrunde disqualifiziert. Den Raketenreitern im werbenden Raumanzug könnte ähnliches drohen. Vielleicht belebt man ja bei der FEI, kreativ wie der internationale Verband nun aufzutreten scheint, die "unangemessene Kleidung" wieder. Und: im Zusammenhang mit der Kreativität noch eine kleine Korrektur: Es mag sein, dass die Schweizer zwischenzeitlich auch im Kreis der Kreativen angekommen sind - aber die Idee der künstlerisch gestalteten Gäule kommt natürlich nicht aus Lausanne - sondern, um genau zu sein aus der Karl-Ludwig-Straße. Die dort beheimatete "Kreativfabrik" der Metropolregion dürfte ja nicht zuletzt Dir als Werber hinlänglich und einschlägig bekannt sein. Vielleicht wollt Ihr Euch ja zwecks Patentierung zusammentun.
Sei herzlich gegrüßt
vom
harald