Bootsbesitzer haben es besser als man denkt. Enten auch – aber aus etwas unterschiedlichen Gründen. Eine ethnografisch-ornitologische Notiz.
Seit drei Jahren bin ich Bootsbesitzer. Langsam merke ich, wie gut mir das tut. Bisher war das eher lästig. Um ein Boot muß man sich kümmern. Wo bewahrt man es auf? Wie bekommt man es ins Wasser? Wo bleibt es im Winter? Mit einem Boot im Gepäck, muss man allerhand Sachen beachten und vorausplanen.
Mein Boot ist rund vier Meter siebzig lang. Gemeinsam mit einem Freund, habe ich es im Gebrauchtboothandel günstig erstanden. Es hört auf den schönen Namen “Mohawk”, ist ein Kanu, und die Farbe ist eher häßlich.
Vier Meter siebzig machen mehr Arbeit, als man glaubt. Fährt man unglücklicherweise ein Cabrio, so wie ich, dann fangen die Schwierigkeiten damit schon an. Um ein Kanu zu transportieren, muss man als Cabriofahrer in seinem Freundeskreis nette Menschen haben, die bereit sind das Auto zu tauschen und die zudem noch einen Dachgepäckträger haben. Ist diese Hürde überwunden, dann braucht man noch einen weiteren netten Menschen, der beim Auf- und Abladen hilft. Und wenn es ganz toll laufen soll, braucht man einen weiteren netten Menschen, der mit Paddeln gehen will. Derjenige könnte im Idealfall auch mit auf- und abladen helfen.
Man braucht also eine ganze Reihe netter Menschen, damit man so ein Boot einmal vom Trockenen ins Wasser und zurück bekommt. Will man das mehrfach während der Paddelsaison schaffen, braucht man einen ganz schön netten Freundeskreis.
Warum ich als Bootsbesitzer trotzdem fein raus bin, ist mir erst in diesem sonnigen April klargeworden. Hat man die lästigen, logistischen Details einigermaßen im Griff, so kann man als Bootsbesitzer gut neuundneunzig Prozent der deutschen Bevölkerung, ohne große Anstrengung, hinter sich lassen. Als Bootsbesitzer habe ich das Privileg, an Orten zu sein, die Nicht-Bootsbesitzern auf ewig verschlossen bleiben werden. Es gibt natürlich auch noch gute Schwimmer, die es mit Bootsbesitzern aufnehmen könnten. Aber auf der kleinen Insel, in den Rheinauen, die meist das Ziel meiner Bootsausflüge ist, läßt sich kein guter Schwimmer sehen.
Die Ruhe und Abgeschiedenheit dieser kleinen Insel, die nur Bootsbesitzern und – theoretisch – auch guten Schwimmern zugänglich ist, bietet also genügend Gelegenheit zur Muße. Als Bootsbesitzer paddle ich ja nicht ständig durch die Gegend. Im Gegenteil. Ich paddle immer erst einmal zur Insel, lade meine Kühltasche und das andere Gepäck aus, hänge Hängematten in die Bäume und gebe mich meinen Gedanken und Beobachtungen hin.
Als Bootsbesitzer beobachte ich gerne andere Bootsbesitzer. Darin, so meine erste Beobachtung, unterscheide ich mich nicht von anderen Bootsbesitzern. In dieser Hinsicht sitze ich, ob ich will oder nicht, mit allen anderen Bootsbesizern auf diser Erde in einem großen Boot.
Nach einer Weile des Beobachtens stellt sich jedoch heraus: Bootsbesitzer ist nicht gleich Bootsbesitzer. Da gibt es einmal die Kajakfreaks. Ein solcher bleibt immer nur kurz auf Inseln. Kajakfreaks sind hypermobil, sportlich, riechen aber untenrum schlecht. Wenn sie auf meine Insel kommen, pellen sie sich aus ihrer Gummipersenning, lüften kurz den Unterleib und weiter geht es rheinabwärts.
Motoryachtbesitzer sind da ganz anders. Motoryachtbesitzer fahren ihre Motoryacht aus dem Hafen und ankern maximal fünf Seemeilen von ihrem Heimathafen entfernt. Vor meiner Insel liegen deshalb auch immer einige Motoryachten. Ein Motoryachtbesitzer käme nie auf die Idee, eine Insel zu besuchen. Motoryachtbesitzer ankern an einer schönen Stelle, und dann verhält er sich so, als sei er nicht Zuhause. Motoryachtbesitzer können stundenlang unterm Sonnensegel auf ihrem Boot sitzen, trinken und schweigen. Sie hören auch keine Musik – sie ankern, trinken, schweigen, lichten den Anker und fahren heim. Für das Inselleben eine recht erfreuliche Erscheinung.
Auch Segelyachtbesitzern käme es nie in den Sinn meine Insel zu besuchen. Segelyachtbesitzer sind im Vergleich mit Motoryachtbesitzern eindeutig der aktivere Menschenschlag. Segelyachtbesitzer segeln oder sie sind auf der Suche nach Wind. Ankern, trinken, schweigen, Anker lichten, heimfahren liegt ihnen nicht. Mit Wind segeln sie an meiner Insel vorbei. Gibt es keinen Wind, dann tuckern sie mit Motor über den Altrhein, in der Hoffnung, eine kleine Brise zu finden, die ihrem Seglerdasein eine Berechtigung verschafft. An Bord von Segelyachten sind oft Menschgruppen, die trotz Flaute eine kleine Sause veranstalten. Da sie nur vorbeituckern oder mit Wind vorbeifliegen, stört mich das nicht sonderlich in meinen Gedanken und Beobachtungen.
Jollensegler hingegen besuchen manchmal meine Insel. Sie tun das nicht aus Interesse an Inseln, sondern aus Langeweile. Der Grund für ihren Besuch hat einen Namen: Flaute. Sie flätzen dann eine halbe Sunde am Ufer rum, warten auf Wind und stürtzen sich dann wieder in die gleiche Flaute. Segeljollenbesitzer haben wenig Geduld und keinen Motor. Wenn sie ohne Wind auf dem Wasser treiben, stellt sich Langeweile ein. Wenn sie auf Inseln rumsitzen, dann ist das für sie auch nicht interessanter.
Speedbootbesitzer und Jetskibesitzer – die lästigste Form der aquamobilen Bevölkerungsgruppe – stellen im Grunde kein Problem dar. Da um meine Insel eine Geschwindigkeitsbegrenzung aus Naturschutzgründen gilt, tauchen sie nur selten auf. Und wenn sich einer in diesen Altrheinarm verirrt, dann tuckert er nur potenzreduziert protzend kurz vorbei. Häufige Gäste auf meiner Insel sind hingegen andere Kanuten – denen eine natürliche Affinität zur Rast auf Inseln gegeben zu sein scheint – und mutige Individualisten in seltsamen Bootskonstruktionen (siehe Bild). Gerade letztere verbringen gerne auch Mal einen ganzen Nachmittag auf meiner Insel.
Alles in allem bin ich, wie man sieht, auf dieser Insel ungestört. Die Beobachtung anderer Bootsbesitzer ist keine Beschäftigung, die ganze Tage füllt. Fische beobachten ist schwierig, da das Wasser zu trüb ist. Was bleibt ist die Vogelbeobachtung. Ich bin, das möchte ich anmerken, kein ambitionierter Vogelbeobachter, auch kein Hobby-Ornitologe. Vögel sind mir ziemlich egal. Viel interessanter fände ich Bieber, Waschbären, Ottern, Wale oder Krokodile. Aber auf Altrheininseln finden sich diese Tierarten nicht zur Beobachtung ein.
Vögel hingegen drängen sich regelrecht auf. Gerade weil ich Vögel nicht besonders mag, entdecke ich bei dieser uninteressiert beiläufigen Beobachtung, Dinge, die demjenigen verschlossen blieben, der ein übermäßiges Interesse an Balzverhalten, Brutpflege oder Gesangsdarbietungen an den Tag legte. Wie Bootsbesitzer, haben Vögel die Möglichkeit Orte zu erreichen, die Nichtbootsbesitzer niemals erreichen könnten – auch Fische haben damit übrigens Schwierigkeiten. Fische sind, genau betrachtet, wie Nichtbootsbesitzer. Der Nichtbootsbesitzer ist gezwungen an Land zu bleiben, der Fisch ist ans Wasser gefesselt. Fliegende Fische sind so etwas ähnliches, wie gute Schwimmer. Aber zurück zu den Vögeln.
Auf meiner Insel ist ein ziemliche Kommen und Gehen, was Vögel betrifft. Präziser gesagt, ein ständiges Starten und Landen, Anlegen und Ablegen. Manchmal putzt sich am Strand ein giftiger Schwan. Wildgänse stehen rum. Kormorane fliegen vorbei. Reiher stehen einbeinig am Ufer. Ganz zu schweigen von all den Finken, Drosseln und Meisen, die durch die Zweige zwitschern. Außerordentlich unangestrengt beobachten läßt sich auf meiner Insel vor allem, die Lebensweise der Enten.
Viele Stunden der beiläufigen Beobachtung der Enten aus Hängematten in Bäumen, läßt mich zu dem Schluß kommen, daß unter den Vögeln die Enten, aber auch die Gänse und Schwäne, uns Bootsbesitzern am ähnlichsten sind. Wie Bootsbesitzer, haben diese Vogelarten gewisse Limitationen, was die Beherrschung der Dritten Dimension betrifft. Sie können zwar ganz herrlich fliegen, auch wenn Start und Landung nicht im engeren Sinne elegant genannt werden können. Aber in Baumkronen landen können sie genausowenig wie Bootsbesitzer. Sie klatschen immer nur auf's Wasser und paddeln dann an Land.
Trotzdem haben es Enten – aber auch Gänse und Schwäne – besser als man denkt. Dies zu beobachten ist kein Privileg von Bootsbesitzern. Man muß nur im Frühjahr unter Bäumen spazieren gehen und findet ganz sicher kleine Vögel, die aus den Baumkronen gefallen sind. Das ist das Ergebnis einer riskanten Lebensweise, die auf der vermeintlichen Beherrschung der Dritten Dimension basiert. Enten sind da realistischer. Oder hat man jemals Enten gesehen, die aus Bäumen fallen?
PS: Allerdings habe ich aus meiner Hängematte, auf meiner Insel, am 29. April 2007 eine Ente beobachtet, die zwischen den Baumwipfeln augenscheinlich nach einem Landeplatz suchte. Erst verlor ich sie an der einen Ecke meiner Insel kurz aus den Augen. Dann erschien sie wieder und flatterte über mir, vor einem dicken Ast, mit ausgestreckten Schwimmhäuten. Einen kurzen Augenblick glaubte ich, sie schafft es. Dann drehte sie ab und verschwand. Aus der Perspektive des beiläufigen Beobachters kann ich die Enten nur warnen, diesen evolutionären Sprung zu wagen. Im Hinblick auf die nachwachsende Entengeneration hätte dies fatale Folgen. Junge Enten würden aus den Bäumen fallen und hätten fortan weniger gemein mit Bootsbesitzern. Aber wer hört schon auf beiläufige Beobachter?
Meine Insel:
Mittwoch, 2. Mai 2007
Weshalb Bootsbesitzer fein raus sind und junge Enten nicht von Bäumen fallen
Eingestellt von Reinhard um 23:15
Labels: Ethnologie, Ornitologie, Reise
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen