Das Buch “Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft” von Joseph Weizenbaum hat mich vor 25 Jahren sehr beeindruckt. Im Februar 1982 habe ich es gelesen. Heute, am 9. Mai 2007, hat der inzwischen 84jährige emeritierte Professor des Massachussets Institute of Technology einen Vortrag in Mannheim gehalten. Das hat mich gefreut, und es hat mich nachdenklich gemacht.
Ob der Eindruck des zerstreuten Professors, ein vom Redner gewolltes dramaturgisches Element oder tatsächlich dem Alter geschuldet war, kann ich nicht beurteilen. In der Gerontogie gibt eine These, die besagt, dass alte Menschen Strategien entwickeln, die ihre Leistungsfähigkeit erhalten. Eine dieser Strategien ist “Optimierung”. Joseph Weiszenbaum hat seine Vortragstechnik in dreifacher Hinsicht optimiert. Sie entspricht den Vorurteilen des Auditoriums gegenüber zerstreuten Professoren, sie entspricht den Vorurteilen gegenüber alten Menschen und sie ist unterhaltsam. Professor Weizenbaum hat sein Publikum dort abgeholt, wo er es erwarten konnte.
Der letzte Aspekt – der unterhaltsame – hat mich nicht überrascht. Als us-amerikanischer Professor muß man das können. Der Vortrag schien vollkommen improvisiert. Kleine launige Bemerkungen zu den Gastgebern, Eloquenz im Umgang mit dem Anlaß der Rede, kurze Bezüge auf das Thema “Gestaltung”, ohne genaue Festlegung, und dazwischen Selbstgespräche, über das, was man eigentlich sagen oder nicht sagen will. Allerdings hatte ich die kleinen Anekdoten, die er einstreute, bei meiner Recherche im Internet bereits gelesen. Da ist die, von seiner kleinen Tochter, die ihn fragte, wie spät ist sei. Und dann gleich ergänzte: “Ich möchte einfach nur wissen, wie spät es ist, ohne dass du mir dabei die Uhr erklärst.”
Nach fünfundzwanzig Jahren erhielt ich an diesem Abend die weitgehend kurzweilige Kurzfassung eines Buches, das ich vor fünfundzwanzig Jahren mit Interesse, aber auch mit Geduld und Akribie, gelesen habe. Joseph Weizenbaum hat sich angestrengt einen optimistischen Vortrag zu halten. Das gut gemachte Entertainment hat das unterstützt. Aber die Botschaft war trotz allem – oder gerade deswegen – sehr pessimistisch. Menschen tun, was in ihren technologischen Fähigkeiten liegt. Die Frage nach den Konsequenzen - den Folgen ihres Tuns – findet nur in einem Randbereich ihrer grauen Zellen statt. Menschen tun, im Namen des naturwissenschaftlichen Paradigmas, was in ihren ökonomischen, politischen, persönlichen Interessen liegt. Das war, kurzgefasst, die Warnung von Joseph Weizenbaum, in “Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft”, und in seinem heutigen Vortrag. er hat dies in eine weitere kurze Geschichte gefasst: Ein Flugzeug fliegt fern von jedem Flughafen über den Pazifik und der Pilot macht eine Durchsage an die Passagiere: “Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für sie. Die gute Nachricht: Wir haben Rückenwind und fliegen mit 1800 Stundenkilometern. Die schlechte Nachricht: Alle Instrumente sind ausgefallen und wir wissen weder wo wir sind, noch wohin wir fliegen."
Die Entwicklung seit der Veröffentlichung von “Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft” macht ihn zum Propheten. In gewisser Weise aber auch zum Narren. Alles was er prophezeit hat, ist eingetreten. Auch wenn er es sich wünscht – ein Ende dieser sich erfüllenden Prophezeiungen ist nicht absehbar. Da hilft auch der von ihm zitierte tröstende Satz von Elie Wiesel nicht, dass man an das “undenkbare glauben muß.” Joseph Weizenbaum, mir und allen anderen wünsche ich, dass es immer mehr Menschen gibt, die durchsetzen, was nötig ist. Bisher setzt sich stattdessen all das durch, was möglich ist – im Namen von Geld, Macht, Technologie und naturwissenschaftlichem Fortschrittsmythos.
Einen seiner schönsten Sätze hat er an diesem Abend nicht gebracht. Der lautet: “Ich bin kein Computerkritiker. Computer können mit Kritik nichts anfangen. Ich bin Gesellschaftskritiker.”
Weitere Bücher zu diesem Thema:
- Arthur Koestler: Die Wurzeln des Zufalls
- Paul Feyerabend: Erkenntnis für freie Menschen
- Günther Anders: Die Antiquiertheit des Menschen
- Paul Virilio: Geschwindigkeit und Politik
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