Es gibt Worte, die sehen vertraut aus, dabei gibt es sie gar nicht. Es gibt aber auch Worte, die schaut man an, und je länger man hinschaut, umso fremder wirken sie. Alexander Kluge läßt in seine Film Die Patriotin eine Stimme aus dem Off sagen: „Je näher man ein Wort anschaut, um so ferner schaut es zurück".
Sammelsalarium ist zweifellos ein schönes Wort. Jeder weiß, dieses Wort gibt es im Deutschen nicht. Gemeint ist natürlich Sammelsurium, das umgangssprächlich für Unordnung, Durcheinander und fehlende Systematik steht. Unklar ist, ob der Vater von Sabine, von dem dieses Sammelsalarium stammt, Sammelsurium bewußt verballhornt (Verballhornung: auch ein schönes Wort), oder ob er sich ganz im Einklang mit der korrekten Sprech- und Schreibweise wähnt.
Meine Mutter beispielsweise glaubt seit einem halben Jahrhundert, dass sie das Wort Tschüß richtig ausspricht. Dabei sagt sie jedes Mal Schüß – also mit einem “Sch” zu Beginn, wie bei “Schülerausweis”. Mein Mutter kauft seit einem halben Jahrhundert ihren Kaffee bei Tchibo und dieses Tchibo spricht sie vollkommen korrekt aus. Dass ihr “Schüß” irgendwann einmal wie Tchibo anfängt, daran glaube ich nicht mehr.
Ähnliches ist mir neulich selbst widerfahren und mein Freund Bernhard hat dies in seinem Kommentar zum Beitrag Berufswunsch:Grantler zum Thema gemacht. Er beginnt mit der Beobachtung, dass mir eine gewisse Rechtschreibschwäche, vor allem auch in der Interpunktion, zu Recht nachgesagt werden könnte. In der Tat ist die Anwendung von Regeln nicht so ganz mein Ding. Schon in der Schule definierte ich die Anzahl der Kommata in einem Text nach dem arithmetisches Mittel, und setzte sie an den Stellen ein, wo sie am Besten aussahen. Was Bernhard allerdings länger beschäftigte, war das von mir gewählte Wort Obzession. Sein Kommentar schließt mit den Worten: “Bitte erlöse mich: War es nur ein Schreibfehler? Oder steckt mehr dahinter?”
Lieber Bernhard, es war nicht nur ein Schreibfehler und es steckt auch nicht mehr dahinter! Deine Frage muss ich also mit einem entschiedenen Weder-Noch beantworten. Wenn man so will, dann war es zunächst nur ein singulär auftretender Fehler in meiner Aussprache – im Unterschied zu ständig und allerorten auftretenden Sprach- oder auch Sprechfehlern. Es steckt allerdings insofern mehr dahinter, als man sich mit der Aussage “Das Finnische ist einfach, weil man so spricht, wie man schreibt!” vollkommen neu auseinandersetzen müßte. Ganz davon abgesehen, dass das Finnische alles andere als einfach ist, gilt diese Aussage für keine der mir bekannten Sprachen. Auch im Deutschen spricht man nicht, wie man schreibt. Allerdings schreibt man – fatalerweise – manchmal wie man spricht.
Ich jedenfalls habe das beanstandete Wort Obzession in der Vergangenheit höchst selten geschrieben. Grantelnd benutze ich es schon sehr lange, und dabei immer mit einem “z” nach dem einleitenden “obs”. Also so, als ob ich “obszön” sagen wollte. Deine Irritation hätte ich vermeiden können, hätte ich von “Besessenheit” gesprochen. Aber jetzt ist mir meine Aussprache ins Schriftliche geraten und das hat seine Weiterungen.
“Je näher man ein Wort anschaut, um so ferner schaut es zurück”. Kurz hatte ich bei der Niederschrift gestutzt, und andere Schreibweisen in Erwägung gezogen. Viele kamen nicht in Frage. Die vermutlich Richtige wurde ohne Konsultation des Duden verworfen, da sie – nach meinem Geschmack – nicht gut aussah. Obsession – das riecht doch stark nach Parfüm. Interessant sind aber Deine vergleichenden Studien, nach denen Du feststelltest, dass Obzession, in der von mir zugedachten Bedeutung, kein deutsches und auch kein englische Wort sein kann.
Im Spanischen bedeutet obsession neben Zwangsvorstellung auch Besessenheit und – Leidenschaft. Dies kommt dem von mir angestrebten Sinn des Textes sehr entgegen. Für die Zukunft gelobe ich: Ich werde meine Rechtschreibung durch eine Verfeinerung meiner Aussprache verbessern. Dort wo es möglich ist, werde ich, globalisierungskritisch, nach dem entsprechenden deutschen Wort suchen. Für das Sammelsalarim, dass ich dadurch angerichtet habe, dass ich schrieb, wie ich sprach, entschuldige ich mich bei allen, denen ich Kopfzerbrechen bereitet habe. Sammelsalarium finde ich viel besser, als Sammelsurium, da es augenscheinlich ein viel größeres Durcheinander anrichtet.
Gerade komme ich aus Norwegen zurück. Ein wunderbares Land mit ebenso wunderbaren 4.681.100 Einwohnern. Die norwegische Sprache kennt kein “Z”. Unser Zentrum heißt dort Sentrum. So kann man sich viel Ärger ersparen. Allerdings spricht auch der Norweger nicht wie er schreibt. Das Norwegische kennt, nach meiner Schätzung, etwa vierhundertdreiundneunzig Aussprachen des Buchstabens “A”. Das “Å” spricht man aber wie “O”.
Dieser Artikel bezieht sich auf den Kommentar von Bernhard zu Berufswunsch: Grantler
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