Montag, 11. Juni 2007

Moderne Zahlungssysteme


Neulich war ich auf einem Konzert von Herbert Grönemeyer in der Commerzbank Arena. Die Tatsache, dass Stadien nicht mehr nach ihrem Namen benannt werden, sondern nach ihrem Sponsor – in diesem Fall war es das Frankfurter Waldstadion – ist eine zweifelhafte Neuerung. Die Tatsache, dass man bei diesem Besuch mit modernen Zahlungssystemen konfrontiert wird, führt nicht nur zu Zweifeln an der Moderne – meist hat man echt schlechte Karten.

Geld ist eine wunderbare Erfindung, wenn man welches in der Tasche hat. Man muss nicht mehr alles selber machen oder sogar Landwirtschaft betreiben. Früher musste man die halbe Apfelernte in halbe Schweine tauschen, damit man als Obstbauer Fleisch zwischen die Zähne bekam. Neue Schuhe, das bedeutete wochenlanges Korbflechten und die Mühsal, einen zu finden, der des Schusterns kündig war und gerade zufällig auch noch Körbe brauchte. Geld ist da schon sehr praktisch. Theoretisch konnte man früher mit Geld auf Konzerte gehen und bekam dafür Getränke und Essen. Die Zeiten sind vorbei.

Schuld daran sind Firmen wie die SFM Payment GmbH, die wiederum eine hundertprozentige Tochter der Stadion Frankfurt Management GmbH ist. Das Produkt dieser Firma nennt sich pay|clever. Wer einmal der Diktatur dieses Produkts ausgesetzt war, wünscht sich nichts sehnlicher, als den Abstieg der Frankfurter Eintracht in die unterste Spielklasse.

Aber beginnen wir am Anfang: Gut ausgestattet mit Bargeld, diversen Kreditkarten und einer Geldkarte meiner Hausbank betrat ich den Innenraum der Commerzbank Arena, um mir einen bequemen Stehplatz zu sichern. Die nächsten Stunden sollten unbeschwertem Konsum vorbehalten sein: Bratwurst, kalte Getränke, frenetische Zuschauer und Live-Musik. Bei einem Konzert schaut man nicht auf's Kleingeld. Die körperlichen Grundbedürfnisse sollten den Musikgenuß auf keinen Fall trüben. Also stand ich bald nach der Ankunft, mit meinen Beleiterinnen und Begleitern, vor einer der Versorgungsstationen, die Getränke und kleine Speisen in zweifelhafter Qualität, aber in ausreichenden Mengen offerierten.

Beim Blick auf die Spitze der Schlange stellte ich fest, dass dort nicht Bargeld den Besitzer wechselte, sondern alle mit schwarz-braunen Scheckkarten bezahlten. Mir schwante Übles, denn ich hatte schlechte Karten – meine waren alle blau. Die Nachfrage bei anderen Konsumwilligen verschaffte mir Klarheit: “Sie brauchen eine pay|clever-Karte und die bekommen Sie bei den Menschen mit den gelben Jacken.”

Also raus aus der Schlange und beim pay|clever-Verkaufsagenten angestellt. Der erklärte mir, weshalb die Idee dieses modernen Zahlungssystems so clever sei. Man kauft eine Karte, die mit fünfzehn Euro aufgeladen ist. Restbeträge könne man sich problemlos nach dem Ende des Konzerts an einer Kasse, mit all den anderen 24.000 Besuchern, auszahlen lassen. Echt clever!

Durch diese Erklärung gewarnt, kaufte ich nur eine der Karten und wollte meine Begleiterin zu einem Bier und einer Bratwurst einladen. Clever wie ich bin, hatte ich ausgerechnet, dass dies mit fünfzehn Euro locker zu schaffen sei. Also zurück in die Schlange am Versorgungsstand und nach knapp fünf Minuten konnte ich meine Bestellung aufgeben.

“Leider hat ihre Karte zu wenig Guthaben”, eröffnete mir die Servicekraft, “denn auf den beiden Bechern sind insgesamt fünf Euro Pfand!” Wieder raus aus der Schlange und, bereits gehörig verärgert, zurück zum pay|clever-Verkaufsagenten. Anschließend mit zwei pay|clever-Karten zurück in die Schlange. Bier und Bratwurst stillten den Hunger und den ersten Durst. Nach der Vorgruppe meldete sich der zweite Durst.

Da eine der Damen im Begriff war, eine der Toiletten aufzusuchen, traf es sich gut, dass sie sich bereit erklärte, auch den Getränkenachschub zu übernehmen. Ausgestattet mit mehreren pay|clever-Karten machte sie sich auf den Weg.

Toilettenbesuche auf Konzerten können sich hinziehen, das weiß jeder. Aber nach einer knappen halben Stunde begannen wir uns ernsthaft Sorgen zu machen. Als unsere Wohltäterin endlich auftauchte, war sie in einem emotionalen Ausnahmezustand. Statt der drei Getränke hatte sie nur zwei. Ihre Schilderung der Ereignisse der letzten halben Stunde waren die, einer Odysee, durch die absurden Abgründe einer “cleveren” Idee.

1. Leere Becher konnten an den Versorgungsstationen nicht zurückgegeben werden. Dafür waren eigene Rückgabestationen eingerichtet worden.

2. Gebrauchte, leere Becher konnten an den Versorgungsstationen nicht erneut gefüllt werden, da Beträge ohne Pfand nicht gebucht werden konnten.

3. Die Rückgabestationen – und das ist wahnsinnig clever – schrieben die Pfandbeträge nicht auf den Karten gut, sondern zahlten den Betrag in bar aus.

4. An den Versorgungsstation war es nicht möglich, den Rechnungsbetrag mit den Guthaben von mehreren Karten zu begleichen.


Das sind die Gründe, weshalb wir nur zwei Getränke bekamen, statt der gewünschten drei. Das sind die Gründe, weshalb unsere Wohltäterin eine halbe Stunde lang durch den Irrgarten des pay|clever-Systems irrte und fortan für Modernes kaum zu begeistern sein wird. Und das sind die Gründe, weshalb sich auf jeder unserer cleveren Karten am Ende des Konzertes noch Minibeträge zwischen sechzig Cent und drei Euro befanden.

Die drei Euro-Guthaben fraßen wir ganz am Ende auf. Bei den Bratwürsten für 2,60 Euro das Stück, wurden – gottseidank – keine fünfzig Cent Serviettenpfand verlangt. Auf einer meiner Karten befindet sich noch ein Guthaben von vierzig Cent. Ich überlege ernsthaft die Rückerstattung einzuklagen, obwohl die Geschäftsbedingungen der SFM Payment GmbH dies ausschließen. Morgen rede ich mit meinem Rechtsanwalt.

Ich weiß nicht, wer mit dieser cleveren Idee, wen übers Ohr haut. Mein Verdacht ist, dass der konsumwillige Konzertbesucher unterm Strich der Gelackmeierte ist. Aber: Statt vier Getränke, hatte ich nur zwei. Dafür aber eine Bratwurst, die ich nicht wollte.

In Buenos Aires wurde vor einigen Wochen ein Bahnhof verwüstet, weil die Kunden sich nicht länger mit der Willkür des Bahnbetreibers abfinden wollten. Ich könnte auch verstehen, wenn sich ein solcher Zorn, eines fernen Tages, gegen moderne Zahlungssysteme richtet. Man sollte nicht nur den Tugendterror (siehe meine Postings zu Volvos und Freundlichkeit) aufmerksam beobachten. Man sollte auch die cleveren Jungs der Stadion Frankfurt Management GmbH nicht aus den Augen lassen.

Für die nächsten fünf Spielzeiten wünsche ich der Frankfurter Eintracht den Abstieg.

Berichte zu den Grönemeyer-Konzerten:

littlesirius.mleo.net
Bondeas Tagebuch
HaiTech-Blog

Keine Kommentare: