Mittwoch, 6. Juni 2007

Die Tyrannei der Freundlichkeit


“Die Erde ist freundlich, warum wir eigentlich nicht?” Mit dieser Frage schließt Herbert Grönemeyers Lied Stück vom Himmel. Es ist eine sehr kühne Behauptung, dass die Erde freundlich sei. Sind Erdbeben, Tsunamis, Bergrutsche und Vulkanausbrüche etwa freundlich? Die Erde, und das ist die erschreckende Wahrheit, kümmert sich einen Dreck um uns Menschen. Ganz anders, steht es um die Freundlichkeit der Mitmenschen. Da kann einem richtig Bange werden.

Amerikaner sind an sich nette Menschen. Allerdings haben viele, einen Hang zur guten Laune entwickelt, der nervenzerfetzender kaum sein kann. Vor allem die Servicekräfte des Übernachtungs- und Gastronomie- gewerbes sind in der Lage meine Laune innerhalb von Sekunden auf den absoluten Nullpunkt abzusenken. Frische, aufgeräumte und lächelnde Erscheinungen, die bereits vor meiner ersten Tasse Kaffee, die Frage nach meinem momentanen Befinden stellen, die wissen wollen, wie meine Nacht war und fragen, was ich den Tag über zu tun gedenke – die sind eine echte Plage. Zu dieser Stunde bin ich nicht frisch, nicht aufgeräumt und will nicht lächelnd und freundlich wildfremden Menschen Fragen beantworten. Zu dieser Stunde möchte ich wortlos meinen Kaffee trinken und ganz langsam zu mir kommen.

Am Liebsten – um es klar zu sagen – sind mir Kellner, die sich nicht in meine Psychohygiene einmischen. Bei Bedarf sollen sie möglichst unauffällig Kaffee nachschenken – in der Beziehung bin ich gnadenlos altmodisch. Aufmerksamkeit wiegt in diesem Gewerbe – finde ich – mehr als Freundlichkeit. Gegen stille Freundlichkeit habe ich nichts einzuwenden, solange die Aufmerksamkeit nicht zu kurz kommt. Der lauten, amerikanischen Form der Freundlichkeit ziehe ich in jedem Falle einen unfreundlichen Kellner vor, der seine Arbeit macht und die Klappe hält.

Leider werden diese grantigen Kellnertypen, auch im alten Europa, immer seltener. Stattdessen ist man, schon beim Frühstück, immer häufiger Entertainmentspezialisten ausgesetzt. Ihre Gutgelauntheiten führen sie in Hotels, Restaurants, Lounges und Coffeeshops auf. Sie sagen brav ihr Sprüchlein: “Mein Name ist Robert, was kann ich für sie tun?” Das mit dem Vornamen lasse ich mal beiseite. Vielleicht komme ich in einem anderen Posting darauf zurück. Nur, weil ich an einer Hotelrezeption ein Taxi bestelle, will ich keine persönliche Beziehung beginnen. Ich will mich keinesfalls, und schon gar nicht aus nichtigem Anlaß, in Vertraulichkeiten verstricken. Nie würde ich Robert mit ”Robert” ansprechen.

Was aus der Neuen Welt da in die Alte schwappt, das sind Sprüchlein. Und diese Sprüchlein sind gelernte Sprüche – antrainiert in Umerziehungslagern, die von Experten in Sachen Kundenbindung und Serviceorientierug ausgedacht und geleitet werden. Das Ergebnis: Überall die gleichen Worte, der gleiche Klang, das gleiche Lächeln. Kurz: Die konfektionierte gute Laune auf Du und Du.

Dies wird durch eine kleine Geschichte illustriert, die mir Nicole gestern erzählte. Kürzlich besuchte sie mit ihrem Freund einen Coffeeshop. Zu diesem Zeitpunkt war in diesem Laden nichts los. Sie waren die einzigen Gäste. Für Menschen, die noch nie einen Coffeeshop besucht haben, sei klargestellt: Es gibt dort keine Kellner, sondern nur freundliches und geschultes Servicepersonal, das sich hinter der Theke verschanzt. Dort gibt man seine Bestellung auf. Dort holt man die bestellten Getränke auch ab, sobald sie fertig sind. Für die Servicekräfte im Schutzraum der Theke, ist es natürlich schwierig den Überblick, über die auf Service wartenden Gäste, in den Weiten des Raumes zu behalten. Coffeeshop-Ketten haben sich deshalb mannigfaltige Techniken ausgedacht, dieses Problem in Griff zu bekommen.

Nicole machte Bekanntschaft mit einer dieser Techniken. Allein in den Weiten des Raumes bestellte sie, bei der gut geschulten Servicekraft einen Kaffee mit Haselnuß-Flavour. Die gut geschulte Servicekraft fragte: “Wie heißt Du denn?” Nicole antwortete leicht irritiert, aber wahrheitsgemäß “Nicole”. Die gut geschulte Servicekraft griff sich einen Becher, schrieb gut gelaunt “Nicole” auf den Becher und machte sich lächelnd an die Herstellung des Kaffees.

Sobald der Kaffee mit Haselnuß-Flavour fertig war, rief die Servicekraft lächelnd in die Weiten des weitgehend leeren Raumes “Nicole, dein Kaffee ist fertig!” Das ist ein sehr treffendes Beispiel dafür, wie mit guter Schulung aus einem, im Grunde vernunftbegabten Wesen, ein vollkommener, aber gut gelaunter, Idiot gemachen werden kann, der nur noch ein antrainiertes Verhaltensprogramm abruft.

In meinem letzten Beitrag ging es um Autos mit “Tugendterrormodulen”. Es ging um die These, dass unzählige Experten daran arbeiten, aus Menschen Maschinen zu machen. Wir sehen jetzt, dass im Servicebereich bereits Roboter arbeiten, die Menschen sind.

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