Freitag, 1. Juni 2007

Das Leben der Autos


Es ist wahr: Autos leben. Und das nicht erst seit gestern. Bereits im Jahre 1930 erschien im Berliner Malik-Verlag Ilja Ehrenburgs Roman “Das Leben der Autos”. Seit dieser Zeit sind Autos, mit jedem Jahr ein klein wenig lebendiger geworden. Neuerdings nervt mich das.

Im Schaufenster einer Fahrschule las ich vor Jahren den Werbespruch “Lkw und Pkw beleben unsere Straßen!” Das war ein sehr anspruchsvoller und existenz- philosophischer Gedanke, der dort in den profanen Dienst gestellt wurde, Menschen zu Führerscheinbesitzern zu machen. Mich plagt seither die Vision, wie es um unsere Straßen, Schnellstraßen, Umgehungsstraßen und Autobahnen – aber auch um die Stichstraßen, Sackgassen, Zubringer, Abfahrten, Ein- und Ausfahrten – bestellt wäre, hätten Gottlieb Daimler und Carl Benz nicht das Auto, sondern Schweizer Kräuterbonbons erfunden. All die schönen Straßen, nutzlos und verweist. Unbelebte, glatte, mit sauberen Mittelstreifen verzierte und von Leitplanken gesäumte Brachflächen – totes Gelände, inmitten blühender Landschaften.

Gottseidank wurde das Kräuterbonbon bereits kurz nach dem Rütlischwur von einem Schweizer namens “Ricola” erfunden. Gottlieb Daimler und Carl Benz hingegen konnten sich – wahrscheinlich inspiriert von all den wunderbaren Straßen – dazu durchringen, lieber das Auto zu erfinden. Das hat ihnen nicht nur eine Menge Ärger mit den Schweizern erspart, es hat auch viele Menschen in Brot und Arbeit gebracht, die jetzt als Ingenieure, Fließbandarbeiter, Kfz-Mechaniker und Fahrschullehrer damit beschäftigt sind, diese wunderbaren Straßen zu beleben.

Ich für meinen Teil, habe gerade letzte Woche ein Mobilitätsexperiment abgeschlossen, das darin bestand, vier Monate ohne Auto zu existieren. Ich habe mich dem quirligen Leben auf auf all den Straßen bewußt entzogen und mich auf die relativ unbelebten Areale der Fußgängerwege zurückgezogen. Das klappte ganz gut. Ich konnte dabei viele Erkenntnisse über das Zufußgehen und über den Öffentlichen Personennahverkehr sammeln.

Bei Mobilitätsengpässen allerdings lieh mir meine Freundin Walli ab und an ihren Volvo. Dabei merkte ich, dass Volvos inzwischen quicklebendige Autos geworden sind. Vorrausschicken sollte ich, dass die Personenkraftfahrzeuge der Marke Volvo bei mir noch nie positive Emotionen geweckt haben. Die Lastkraftwagen hingegen fand ich immer schon richtig schick. Volvos für den Privatgebrauch aber waren für mich so attraktiv wie die Mitteilungsbretter der Hausverwaltung in Eigentumswohnanlagen. Das verrückte ist: Der geliehene, quicklebendige Volvo war ein ebensolches Mitteilungsbrett.

Dabei waren und sind Volvos sehr beliebte Autos. In us-amerikanischen Filmen der 70er und 80er Jahre fuhren die Protagonisten sehr oft Volvo. Tauchte ein Volvo auf, dann wußte man, es gibt jede Menge interpersonellen Stress und Psychoencounter, aber keine Autoverfolgungsjagden. Woody Allan, so glaube ich fest, setzte Volvos als ironisierendes Stilmittel ein, um klarzustellen, dass seine Filme von den Ängsten und Problemen der us-amerikanischen Mittelschicht handelten. Einer dieser Filme hieß “Der Stadtneurotiker”.

Der von mir geliehene, quicklebendige Volvo entpuppte sich als waschechter Neurotiker. Kennzeichnend für Neurotiker ist, dass ihre Macken unkontrollierbar und automatisch ablaufen. Waschzwang zum Beispiel. Der von mir geliehene Volvo hatte gottseidank keine Phobien. Er scheute nicht vor Spinnen, Schlangen oder Menschen mit Regenschirmen und mied auch leere Plätze nicht. Dafür war er ein lupenreiner Zwangsneurotiker. Ich mußte nur die Zündung betätigen und schon wies mich ein Piepston darauf hin, dass ich den Sicherheitsgurt anlegen solle. Wohlgemerkt, ich fuhr nicht! Ich hatte noch nicht einmal einen Gang eingelegt! In Eigentumswohnanlagen stehen auf den Mitteilungsbrettern Anweisungen wie “Bitte nach 22 Uhr unnötigen Lärm im Treppenhaus vermeiden und die Haustür geschlossen halten!” Wieso eigentlich sollte ich unnötigen Lärm in Treppenhäusern veranstalten. Mache ich Lärm, dann ist dieser nötig. Ein Volvo piepst, bei unbotmäßigem Verhalten, rund um die Uhr. Ausserdem sendet er seinem Fahrer Anweisungen, die dieser gar nicht erhalten möchte. Beispielsweise dann, wenn sich auf dem Rücksitz jemand die Jacke auszieht und deshalb kurz den Sicherheitsgurt löst. Prompt wird das Radio leiser, ein akustisches Terrorsignal ertönt und im Display erscheint eine Warnung. Lieber Volvo, falls du mich hören kannst: Man kann es auch übertreiben.

Für einen Volvo ist der Fahrer ein unvernünftiges Mangelwesen, das durch Anweisungen und ein akustisches Erziehungsprogramm auf Kurs gebracht werden muß. Sollte die These stimmen, dass Maschinen menschenähnlich sind, sobald sie in der Lage sind psychische Defekte aufzuweisen, dann ist ein Volvo schon sehr lebendig.

Diese These stimmt aber nicht. Der lebendige Volvo, das ist, um Roß und Reiter zu nennen, das Werk der Ingenieure und der Marketingspezialisten von Volvo. Die Neurosen dieses Autos sind menschengemacht. Zwangsneurosen sind einfach zu programmieren. Programme sind, in ihrer einfachsten Form, der pure Zwang – die Neurose kann man ihnen dann leicht andichten. Solche Programme kennen kein “Wenn” und sie kennen kein ”Aber”. Den Zwang rauszunehmen, das wäre ein zu hoher und unwirtschaftlicher Aufwand. Da nimmt man es lieber in Kauf ganz normale und geistig gesunde Menschen mit neurotischen Akustiksignalen und sinnlosen Nachrichten zu quälen.

Besagte Freundin Walli erzählte mir kürzlich, sie habe in einer Talkshow den Begriff “Tugendterror” aufgeschnappt. Ich hörte ihr nicht weiter zu, was nicht so ungewöhnlich ist. Aber ich dachte: Tugendterror, das bringt vieles auf den Begriff, über das ich mir so meine Gedanken mache. Eben auch dieses Eigenleben der Autos. Volvos haben ein “Tugendterror-Modul”, mit dem sie rücksichtslos die Einhaltung der von ihnen gesetzten Normen erzwingen.

Ilja Ehrenburg schrieb 1930: “Das Auto ist gekommen, um den Uneinsichtigen zu beweisen, dass die Erde rund ist, dass das Herz nur ein dichterisches Requisit ist, dass der Mensch zwei Standardzähler in sich trägt: der eine zeigt die Kilometer, der andere die Minuten an.” Und er hat recht. Die Gefahr besteht nicht darin, dass Maschinen immer menschenähnlicher werden. Es ist umgekehrt. Zahlreiche Experten und Programme arbeiten daran, dass der Mensch den Maschinen immer ähnlicher wird. Das ist ähnlich verquert, wie die Geschichte von den Straßen, die belebt werden müssen.

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

http://video.web.de/watch/431763

Anonym hat gesagt…

Das ist aber auch ganz schön interessant!
http://video.web.de/watch/431763

Anonym hat gesagt…

Und auch damit kann man seine Zeit verbringen.
http://video.web.de/watch/1522168