Dienstag, 19. Juni 2007

Berufswunsch: Grantler


Mein Berufswunsch, im fortgeschrittenen Alter, wäre Grantler. Ich muss mir allerdings noch überlegen, ob Querulant nicht doch vorteilhafter wäre. Als Querulant ist man nämlich, unter bestimmten Voraussetzungen, nur vermindert schuldfähig. Ausschließen kann ich für mich Berufe wie Nörgler oder Kleingeist – rechtlich brächte das auch keinen Vorteil.

Mein erster Berufswunsch war, ich wollte Picasso werden. Kein unbescheidener Gedanke, aber das war mir zu diesem Zeitpunkt nicht klar. Als kleiner Mensch, saß ich am heimischen Küchentisch und zeichnete. Dabei merkte ich, dass das gegenständliche Zeichnen seine Tücken hat. Meine Äpfel auf dem Zeichenblatt waren alles andere als perfekt. Sie hielten dem Vergleich mit ihre realen Vorbildern nicht stand. Ich zeichnete Kaffeetassen, aber auch da war das Ergebnis nicht besser. Reale Kaffeetassen, fand ich, sahen besser aus.

In diese enge Welt, am heimischen Küchentisch, flatterten irgendwann die Gemälde von Pablo Picasso. Bilder von Frauen, deren beide Augen rechts von ihrer Nase waren. In diesem Moment wußte ich, dass man sich als Künstler von allem frei machen mußte. Als Künstler konnte man Kaffeetassen zeichen, wie man wollte. Diese Freiheit wollte ich auch.

Neben der Freiheit, war in diesem Beruf allerdings auch Obzession gefordert. Deshalb nahm ein zweiter, weniger an Obzessionen gebundener Berufswunsch in mir langsam Formen an: Dekorateur – oder, wie man heute sagt, Gestalter/Gestalterin für visuelles Marketing. Irgendwie irre, diese Berufsbezeichnung.

Zu diesem Zeitpunkt wußte ich noch nicht, dass Lothar Matthäus einige Jahre später diesen Beruf erlernen würde. Wenn ich mich richtig erinnere, schrieb ich auch einige Bewerbungen. Ersatzweise bewarb ich mich gleichzeitig auch noch um eine Ausbildungsstelle als Bauzeichner. Das Schicksal meinte es gut mit mir: Ich bekam nur Absagen. Einige Jahre später, kurz vor meinem Abitur, empfahl mir mein Vater, ich solle Busfahrer werden. Im Rückblick, kein schlechter Rat. Hat man doch geregelte Arbeitszeiten, einen engen Fahrplan und vorbestimmte Routen.

Ich entschied mich trotzdem für eine Karriere als Gelegenheitsarbeiter. Diese Berufsbezeichnung war mir sehr lieb und ich gab sie, wann immer eine Berufsbezeichnug erforderlich war, als meinen Beruf an. Als Gelegenheitsarbeiter arbeitete ich bei Unilever, bei der Th. Goldschmidt AG, bei Wild Fruchtsäfte und als Taxifahrer – letzteres nahezu zeitgleich mit dem späteren Außenminister Joschka Fischer. Dieser fuhr allerdings in Frankfurt seine Touren und ich in Wetzlar. Danach war ich sechs Jahre Buchhändler und Gelegenheitsstudent. Der Beruf des Buchhändlers ist mir in dieser Zeit sehr ans Herz gewachsen und folglich änderte ich meine Berufsbezeichnung. Ab dieser Zeit war ich, bei allen amtlichen Angelegenheiten, Buchhändler und das ist heute noch mein Traumberuf.

Letztendlich wurde ich Ende der 80er-Jahre doch noch Dekorateur und gründete mit meinem Freund Jochen eine Werbeagentur. Da arbeite ich gelegentlich, seit nunmehr über sechzehn Jahren. In dieser Zeit stattete ich viele Schaufenster, mehr oder minder namhafter Unternehmen, mit pfiffigen Kommunikationsfassaden aus. Jetzt wird es langsam Zeit für einen neuen Berufswunsch.

Grantler scheint mir zu liegen. Ein Grantler, das ist eine liebenswerte Person, die mürrisch vor sich hinbrabbelt. Grantler stehen außerhalb des Mainstream. Grantler sind kritische Geister. Sie sind die wirklichen Individualisten. Grantler sind Sonderlinge in einem Universum, der vorgestanzten Individualitätsschablonen. Für Tugendterror – um meine Thema hier nochmals aufzunehmen – sind sie kaum empfänglich.

Der Beruf des Grantlers richtet ausgesprochen wenig Schaden an. Weniger Schaden jedenfalls, als die meisten anderen Berufe. Ich würde mich sogar zu der Behauptung versteigen, dass der Grantler weitgehend schadstoffrei agiert. Das sollte wirklich ein gewichtiges Argument dafür sein, dass sich mehr Menschen für diesen schönen Beruf entscheiden. Die meisten Tätigkeiten, die wir ansonsten verrichten, erhöhen den Kohlendioxydausstoß, führen zu Fettleibigkeit und Herzinfarkt, versauen die politische Kultur, lassen unnütze Produkte in strahlendem Licht erscheinen, verschleiern die wahren Absichten der Akteure in Politik und Unternehmen und sorgen letztlich dafür, dass man sich Sorgen um die Zukunft dieses Planeten machen muß. Der Grantler hingegen arbeitet an der Verbesserung dieses Planeten und nicht daran, Grenzwerte für die gerade noch akzeptable Verschlechterung zu definieren und einzuhalten. Als Grantler ist man frei wie Picasso, ohne Obzessionen pflegen zu müssen. Damit schließt sich für mich der Kreis.

Zurückkommen möchte ich allerdings noch einmal auf die Frage, ob der Beruf des Querulanten nicht praktischer ist. Gestern las ich, dass Webblogs von professionelen Dünnbrettbohrern abgemahnt werden, wenn sie kein hieb- und stichfestes Impressum haben. Ich habe keines und mache mir auch nicht die Mühe, eines zu erstellen. Als Grantler in spe, bekenne ich, dass ich seit Jahrzehnten schon dem Querulantenwahn anheim gefallen bin. Liebe Abmahnindustrie, macht euch nicht die Mühe. Mein heutiges Bekenntnis wirkt auch in Zukunft strafmildernd. Meyers Taschenlexikon von 1981 sagt:

"Querulant (lateinisch) - Mensch mit übermäßig stark ausgeprägtem Rechtsempfinden. Gegen tatsächliche oder vermeintliche öffentlich-rechtlich, politisch, religiöse u.a. Ungerechtigkeiten setzt er sich starrsinnig und selbstaufopfernd ein, wobei Anlaß und Verhalten in keinem vernünftigen Verhältnis stehen. Querulanten werden z.T. den Psychopathen zugerechnet. Häufig findet sich beim Querulanten eine mitunter weit zurückliegende tatsächlich erlittene Ungerechtigkeit."


Diese weit zurückreichende erlittene Ungerechtigkeit würde ich bei Bedarf locker nachliefern. Nach diesem Ausflug zum Querulantentum, möchte ich dem Grantler seinen Platz in der Geschichte sichern. Begnadete Grantler waren und sind Hans Moser, Alfons Schuhbeck, Peter Scholl-Latour, Georg Schramm und Winston Churchill. Für weitere Informationen über bedeutende Grantler und ausufernde Kommentare bin ich dankbar.

Kleine Anmerkung am Schluß. Henrick M. Broder schreibt über Peter Scholl-Latour:

“Das Schlimmste an Peter Scholl-Latour sind nicht seine Ansichten, sondern seine Fans. Er selber ist ein routinierter Grantler, kann aber auch charmant sein. Und er ist kein Übelnehmer. Er teilt aus und steckt ein.”

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Werter Grantler,
kokett bist du, dass du jetzt auch ein Grantler bist (sein möchtest), hmmm, das passt undstimmmt dochh nicht (ganz). Ich möchte aus eigener Anschauung weitere Eigenschaften hinzufügen. Dahinter steckt mein Verdacht, dass auch diese selbstgewählte Schublade oder Kategorie nicht zu deiner komplexen Persönlichkeit zu passen scheint. Ich erkenne deine Suche nach EINER Heimat, aber lass dir gesagt sein, von einem der es weiß (wissen müsste), es gibt sie nicht. Die EINE Heimat.
Nun zu dir. Mürrisch habe ich dich weniger erlebt, eher sprunghaft. Einer, der wie ein Schmetterling sich dem Schönen gerne hingibt, eben flatterhaft. Einer der sensible ist, feinfühlig und engagiert, wenn es aus dem Innersten kommt. Aber immer für Überraschungen gut. Positive und auch negative. Kritisch ja, das stimmt. Du liegst quer, entziehst dich und willst doch teilhaben. Irgenwie unnahbar und doch auch unerwartet treu. Schillernd, kreativ und geistreich. Tja, ein Individualist mit Bodenhaftung, ein Freigeist mit sozialer Ader, ein Kreativer und feinfühliger Mensch, der sich mitteilen muss und Austausch und Beziehung braucht, wie die Luft zum Atmen.
Jetzt weiß ich, was Du für mich bist: ein liebenswerter Luftikus!

Anonym hat gesagt…

Guten Morgen lieber Grantler (in spe),
dem Grantler bei seinem Bruddeln hehre (politische etc.) Ziele zuzuschreiben macht ihn ja liebenswert und akzeptabel, wenn auch nicht für den Mainstream.
Es gibt natürlich auch Grantler (und ich fürchte das sind die meisten), die einfach nur brudddeln und granteln. Dazu zählt natürlich leider auch meine Spezies, wie wir schon aus "der Fischer und sine fru" kennen. Diese Gratwanderung zwischen granteln und nörgeln beherrschen offensichtlich nur
Männer. Mir fällt keine begnadete Grantlerin ein. Beim Grantler denke ich automatisch an Karl Valentin. Um anerkannter Grantler zu werden, muss er glaube ich vorm Granteln sich Meriten erworben haben (siehe Deine Beispiele). Elfriede Jelinek hat übrigens auch was grantlerisches, geht aber
schon in Richtung Zimtzicke.
Einen schönen Tag wünscht Dir
Walli

Anonym hat gesagt…

Beim - wie immer – erwartungsvollen – Lesen Deines Beitrags über Grantler bin ich – als alter Nörgler (?) – zunächst über das Wort „Obzession“ gestolpert. Dass Du es mit der Zeichensetzung nicht so hast, ist ja bei allen Artikeln augenfällig und dass der eine oder andere Tippfehler unkorrigiert bleibt (ich weiß aus eigener leidvoller Erfahrung um die Problematik des nächtlichen Korrektur-Lesens!), ist auch nicht neu. Aber „Obzession“? Das hat mich selbst (oder: selbst mich?) verunsichert.
Mein Microsoft-Word unterkringelt „Obzession“ und schlägt „Obsession“ vor.
Die Dudensuche (http://www.duden-suche.de/ ) bestätigte meine spontane Einschätzung: „Obzession“ ist kein deutsches Wort:
„Suchergebnis für obzession im gesamten Text:
0 Treffer in Duden - Deutsches Universalwörterbuch.
Suche verändern
Oder meinten Sie: Obsession ?“
Ja, ich hätte „Obsession“ gemeint! Duden erklärt dazu:
„Ob|ses|si|on, die; -, -en [lat. obsessio = das Besetztsein; Blockade] (Psych.): [mit einer bestimmten Furcht verbundene] Zwangsvorstellung od. -handlung.“
Hupps – das passt aber irgendwie nicht zum Kontext. Du meinst ja, der Beruf des Künstlers neben Freiheit eben auch „Obzession“ erfordere. Aber „Besetztsein, Blockade“? oder gar „mit einer bestimmten Furcht besetzte Zwangsvorstellung oder -handlung“? Eher nicht.

„Obzession“ ist aber auch kein englisches Wort. Das Online-Wörterbuch Leo (http://dict.leo.org) findet nur „obession“ und macht dazu folgende Übersetzungsvorschläge: „Besessenheit, fixe Idee, die Macke (ugs.), Manie, Zwangsvorstellung, die Fixierung auf etw.“
Einige dieser Übersetzungsvorschläge (Besessenheit, Macke) könnten jetzt wieder in Deinen Kontext passen.

Die Google-Suche ergibt ungefähr 2370 Einträge zum Stichwort „Obzession“. Die grobe Sichtung ergibt Konnotationen mit erotischer Fotografie, Kontaktanzeigen und etliche Hinweise auf eine Musikgruppe Obzession (When you touch me) – außerdem etliche Hinweise darauf, dass „Obzession“ ein häufiger Schreibfehler bei dem Wort „Obsession“ sein könnte.

„Als Grantler ist man frei wie Picasso, ohne Obzessionen pflegen zu müssen.“ Damit schließt sich für Dich der Kreis. Für mich hat das Stolpern über dieses Wort einen neuen geöffnet. Oder bin ich dabei geradezu „obsessiv“. Oder gar querulantisch? (Beide Wörter hat mein Microsoft Word auch unterkringelt. Zu „obsessiv“ fällt ihm gar nichts ein, statt „querulantisch“ schlägt es allen Ernstes „Queruhlahntisch“ vor!
Bitte erlöse mich: War es nur ein Schreibfehler? Oder steckt mehr dahinter?