Sonntag, 11. November 2007

Die Toten von Buenos Aires


Die Zahl der Toten übertrifft die Zahl der Lebenden um ein Vielfaches. Das ist uns meist nicht bewußt und auch ziemlich egal. Es läßt sich auch nicht ändern.

Der Großraum Buenos Aires ist mit rund 13,5 Millionen Lebenden nach Sao Paulo die zweitgrößte Stadt Lateinamerikas. Buenos Aires lebt - wie jede andere Stadt - auf ungezählten Toten. Aber: Hier sorgen die Lebenden gut für ihre Toten - und die Toten von Buenos Aires, sorgen so gut sie können, für die noch Lebenden.

Paris hat den Pere Lachaise und Wien den Zentralfriedhof, London den Highgate Cemetery und die USA haben Arlington. Buenos Aires aber hat gleich zwei berühmte Friedhöfe. La Chacarita und Recoleta. Der eine, La Chacarita, gilt als die nationale Begräbnisstätte Argentiniens. Hier sind alle Volkshelden begraben: Carlos Gardel selbstverständlich und natürlich auch Juan Perón. Ausserdem der Tangosänger Roberto Goyeneche, der Komponist Carlos Acuñader, der Flugpionier Jorge Newbery, der Boxer Óscar Bonavena und der Fußballer Adolfo Pedernera. Es gibt eine Ausnahme: Evita Perón - Don't cry for me Argentina - die Volkstribunin par exellence, ist auf dem Friedhof von Recoleta begraben. Recoleta, das ist die vergleichsweise konservativere und vaterländischere Begräbnisform. Hier ruhen die Gründer und Bewahrer der Republica Argentina: Alvear, Sarmiento, Saavedra, Pellegrini, Mitre und Yrigoyen.



Evita Perón ist ein Mythos und als solcher wird die wirkliche Person von dem überlagert, was die mediale Wahrnehmung hinzufügte und noch immer hinzufügt. Selbst wenn in kommenden Zeiten die meisten glauben werden, sie habe ausgesehen wie Madonna, ändert das nichts daran, dass sich in Evita Perón Hoffnung und Schicksal in einer Weise verbinden, wie es so kitschig und wahr nur in Argentinien geschehen konnte. Evita und Peròn, das ist Tango als Politik. Einerseits eine Farce, andererseits eine Tragödie. Evita Duarte, die spätere Perón, stammte aus der argentinischen Unterschicht, verdiente sich ihren Lebensunterhalt im Rotlichmilieu, heiratet den Emporkömling Juan Domingo Perón Sosa, der eine militärische Karriere machte, wurde Präsidentengattin und Volkstribunin und starb mit 33 Jahren an Gebärmutterkrebs.

Die kundigen Führer durch den Friedhof von Recoleta können lange Geschichten über Evita erzählen. In einer Tiefe von fünf Metern ruhe ihr einbalsamierter Körper in der Familiengruft der Duartes. Um ihn zu konservieren, sei eigens ein Spezialist aus Europa eingeflogen worden. Ihre Haut sei so glatt wie Marmor und ihr Körper sei vollkommen erhalten, inklusive der inneren Organe. Man könne sogar die Geschwulst sehen, die ihr das Leben gekostet habe.

Die beiden Friedhöfe La Chacarita und Recoleta sind ein warmer und dauerhafter Regen für den Tourismus und für den Arbeitsmarkt von Buenos Aires. Beide Friedhöfe sind eine Touristenattraktion und eine krisenfeste Arbeitsbeschaffungsmaßnahme für kundige Führer, aber auch für Handweker und Reinigungspersonal.



Mausoleen müssen gewischt und gewienert werden. Was in Gruften passiert ist viel weniger bekannt, da es sich im wesentlichen unterirdisch und im Verborgenen abspielt. Bisher war ich der Meinung, dass da wo der Tod zugeschlagen hat, nicht mehr viel zu tun übrig bleibt. Da ist Tabula rasa und nicht mehr viel zu holen. Natürlich sind auch in Deutschland Begräbnisse ein gutes Geschäft. Bei der Grabpflege wird ab und an ein wenig geharkt und mal ein neues Lorbeerbäumchen gepflanzt. Aber sonst überläßt man die Toten sich und ihresgleichen. Kürzlich gab es zum Geschäft mit Begräbnissen einen interessanten Artikel in brand eins: Aufschwung durch Ableben. Aber die deutsche Sepulkralkultur - also das, was kulturell an den Umgang mit dem Tod gekoppelt ist – hat in dieser Hinsich viel weniger Potenzial als der argentinische Way of Death.



Wenn ich es richtig beobachtet habe, dann wird nicht nur gewischt, geputzt und gewienert, es wird auch gelüftet. Selbst den in der Holzklasse Begrabenen öffnet man kurz das Türchen und läßt die schlechten Winde in die Buenos Aires entweichen.



Zwischen Lebenden und Toten scheinen die Geschäfte gut zu laufen. Die Toten haben oft den Gundstein für beträchtliche Vermögen gelegt. Auf den Friedhöfen La Chacarita und Recoleta haben sich Dynastien ihre Denkmäler gesetzt. Dynastien, die in der Geschichte Argentiniens nicht nur große Vermögen, sondern auch Macht angehäuft haben. Die Pflege lassen sich die Erben etwas kosten. Sie pflegen ihren Status und das Andenken an diejenigen, denen sie ihren Wohlstand verdanken.



Heute erschien in Clarin, der führenden Tageszeitung Argentiniens, auf den Seiten 56 und 57 ein Artikel über die zunehmende Verwahrlosung des Friedhofs Recoleta. Auch das ist ein Teil der Wahrheit. In den ersten sechs Monaten des Jahres 2007 gab es hier nur 127 Beisetzungen. Zum Vergleich: La Chacarita hatte 6711 Begräbnisse. La Chacarita ist damit Marktführerin in Buenos Aires. In La Chacarita gibt es 8925 Mausoleen. In Recoleta 4691. Davon sind 94 Bauwerke als historisch bedeutend klassifiziert und werden vom Staat unterhalten. Die Leute wollen aber heute, so endet der Artikel in Clarin, weniger aufwendige Begräbnisformen. Und deshalb wird die Erhaltung des Friedhofs der Helden der Nation in Zukunft ein öffentliche Aufgabe sein. Man sieht, auch Friedhöfe können sterben.

Die Fotos stammten vom Autor des Beitrags und stehen unter Creative Commons Licence.

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1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Reinhard, gehört zwar nicht hierher, aber trotzdem: Hast ein prima Open Mind verpasst. Besser können die Abende auf der anderen Seite des Globus gar nicht sein;-)