Montag, 12. November 2007

Die Gesichter von Buenos Aires


"Die Geschichte von Buenos Aires steht im Telefonbuch der Stadt geschrieben: Pompeji Romanow, Emilio Rommel, Crespina D. Z. de Rose, Ladislao Radziwil und Elizabeta Marta Callman de Rothchild - fünf Namen, aufs Geradewohl unter dem Buchstaben R ausgewählt, erzählen eine Geschichte von Exil, Enttäuschung und Angst hinter Spitzengardinen." Dies schrieb Bruce Chatwin 1977 ganz am Anfang seines Buches In Patagonien. Und das ist die Wahrheit.

Diese europäischen Wurzeln sieht man auch heute noch, wenn man durch Buenos Aires flaniert. Was im Stadtbild fehlt sind die "Eingeborenen", die Indios oder - politisch korrekt - die Indigenas. Die Einwanderung und die Landnahme hat in Argntinien von ihnen so gut wie nichts übrig gelassen.






Alle oben gezeigten Portraits entstanden bei einer vaterländischen Zermonie auf dem Friedhof Recoleta, deren Zeuge ich zufällig wurde. Geehrt wurden die Helden einer Schlacht, die vor vielen hundert Jahren, an der Grenze zu Boliven stattfand. Es wurden vaterländische Reden gehalten, ein katholische Priester mit streng gescheiteltem lichtem Haar weihte die Fahnen und ein Trompeter in Uniform blies in sehr korrekter Haltung eine melancholische kleine Melodie.



Wenn es etwas gibt, das die Argentinier von anderen Menschen auf diesem Planeten unterscheidet, dann ist es ihre Fähigkeit selbst profanen Dingen jede Menge Pathos zu verleihen. Die vaterländische Zeremonie auf dem Friedhof Recoleta endete mit dem Absingen der argentinischen Nationalhymne, die im Unterschied zur Deutschen sehr schwer zu singen ist. Vor Pathos triefen aber auch Texte, die beispielsweise die Geschichte einer Druckerei beschreiben, die ich hier in Buenos Aires besuchte. Dort heißt es: "Unsere Geschichte beginnt im Jahre 1987. Seit dieser Zeit sind wir mit Opferbereitschaft, starkem Willen, Anstrengung und Würde den Weg des Wachstums und der Selbstvervollkommnung gegangen." So klingt hier vieles, was offiziel gesagt oder geschrieben wird.

Die Kehrseite von Pathos und Vaterlandsliebe ist ein tiefes Mißtrauen gegenüber allen Institutionen. Dafür gibt es auch gute Gründe. Das führt schnell zu gewaltsamen Ausbrüchen, wie beispielsweise vor einigen Monaten geschehen. Der Bahnhof Retiro wurde damals von einer Menschenmenge verwüstet, weil ein Nahverkehrszug ohne Angabe von Gründen ausgefallen war. Heute saß ich in einem Café und sah im Fernsehen, wie demonstrierende Arbeiter sich mit Polizisten prügelten. Es war die Rede von zwölf Verletzten.

Die Photos stammen vom Autor des Beitrags und stehen unter Creative Commons Licence.

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