Dienstag, 18. September 2007

Sehapparate - hört, hört!


Heute hatte ich vor, zu schweigen. Bei meiner Recherche zu "Verpönte Kulturtechniken - das Barren" habe ich einige antiquierte bewegte Bilder entdeckt, die einen schönen Gegenpol zum lärmenden Getöse in YouTube bilden. Die wollte ich zeigen - kommentarlos. Daraus wird aber nichts.

Bei diesem bewegten Bild handelt es sich um die Illusion von Bewegung. Schaut man etwas länger hin, dann wird einem schwindelig. Das finde ich für jede Art der medial vermittelten Wahrnehmung sehr angemessen. Die Illusion von Bewegung wird von einem Phenakistiskop hervorgerufen. Das ist ein Apparat, der mittels eines Stroboskopeffekts die Eigenschaft der menschlichen Netzhaut ausnutzt, so genannte Nachbilder zu erzeugen. Technisch etwas perfektioniert nannte man das einige Zeit später Film, Fernsehen und Video. Interessant ist, dass die ganze multimedial-virtuelle Welt noch immer auf dieser Illusion beruht, die eben jene Eigenschaft unseres Sehapparates ausnutzt Nachbilder zu erzeugen: Ohne Nachbilder kein Film!

Es scheint, dass dies auch ein nützliches Unterscheidungskriterium sein könnte, um einen gefilmten Sonnenuntergang von einem Sonnenuntergang zu unterscheiden, den man mit eigenen Augen sieht. Vieles spricht dafür, dass Sonnenuntergänge in der Wirklichkeit nicht mit 24 fps (= Frames per Second) ablaufen, sondern weniger ruckelig sind. Das käme auch den Benutzern von Facettenaugen sehr entgegen - also beispielsweise Glühwürmchen - da die zeitliche Auflösung bei deren Sehapparaten deutlich höher ist, als bei Linsenaugen, wie sie bei uns Menschen sehr gebräuchlich sind. Mit wie vielen Frames per Second Sonnenuntergänge in der wirklichen Wirklichkeit ablaufen, hat meines Wissens noch niemand ausgerechnet. Ich vermute, dass dabei eine relativ große Zahl herauskäme oder man landet bei der Heisenbergschen Unschärferelation.

Die Eigenschaft unsere Netzhaut Nachbilder zu erzeugen, wird mitunter und manchmal auch als Trägheit unseres Auges - genauer der Rezeptoren auf unserer Netzhaut - beschrieben. Interessant finde ich daran, dass Trägheit und Illusion hier in einen direkten Zusammenhang geraten, den ich jetzt weder philosophisch, noch erkenntnistheoretisch, noch wahrnehmungspsychologisch und schon gar nicht anthropologisch deuten möchte. Medienkritisch könnte man sich allerdings hinter der Behauptung versammeln, dass die gesamte Film- und Fernsehindustrie mit dieser physiologisch bedingten Trägheit so gute Geschäfte macht, dass einem schwindelig werden könnte.

Zum Abschluss möchte ich Vilém Flusser zu Wort kommen lassen. Das Zitat handelt nicht von Sehapparaten und auch nicht von Sprechapparaten. Es geht um Hörapparate. Der Sinn ist aber übertragbar:

Meine Damen und Herren,[...] Glauben Sie bitte nicht, dass ich etwa besser als Sie sähe, nur weil ich schlechter höre. [...] Die griechischen Theorien waren kurzsichtig, weil die Griechen schwerhörig waren. Die Stimme, die in den jüdischen Schriften zu Wort kommt, reichte nicht weit, weil die Juden kurzsichtig waren. [...] Was ich ihnen mitteilen wollte, war also dieses: seitdem ich einen Hörapparat besitze, sehe ich die Welt anders. [...] Wenn Sie auf die Welt hinhören, dann werden Sie merken, dass ihre Geräusche instrumentiert sind. Nicht ein weißes Summen kommt in die Ohren, sondern ein orchestriertes Schwingen. Ein programmierter Lärm. Es muss daher angenommen werden, dass zwischen Ihnen und der Welt irgend ein Tonsieb eingeschaltet wurde, ein Hörapparat eben. [...] Ich habe Sie schon gebeten gehabt, nicht viel von meinen Einsichten ins Hören zu erwarten. [...] Ich bin so kurzsichtig wie Sie, weil meine Taubheit nicht tief genug ist. Auch ich, wenn ich glaube aufzuhorchen, gehorche. Das ist eben so bestellt mit der menschlichen Freiheit. Und doch meine ich, Ihnen einen kleinen Beitrag [...] geboten zu haben. Eben jenen Beitrag, den Schwerhörige dem allgemeinen Gespräch bieten können: nämlich die Aufforderung, sich die Hörapparate anzusehen.

Vilém Flusser, „Hörapparate


Übrigens: Bauteile, mit denen man sich ein Phenakistiskop bauen kann, gibt es bei Fischertechnik. Man sollte jetzt schon an originelle Weihnachtsgeschenke denken! Gerade für Väter, die Golf spielen, ist das ein sehr schönes Präsent für ihre heranwachsenden Söhne. Selbstgemachte Fotosequenzen auf der Driving Range können mit einem mechanischen Spielzeug so kombiniert werden, dass selbst Golf ganz interessant rüberkommt. Weihnachten ist in unseren Breiten ja auch im Winter. Und da haben Väter witterungsbedingt etwas mehr Zeit zum basteln. Es sei denn, sie gehen Skifahren.

Das Foto stammt aus Wikimedia Commons und steht unter Creative Commons Licence.

2 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Lieber Reinhard,

vielen Dank für den Weihnachtsgeschenk-Tipp. Gehe übrigens nicht Skifahren.

Gruß, Jens

Anonym hat gesagt…

Hallo Reinhard,
cooler Link auf den Prof. Flusser, danke!

Gruß Bernhard