Der gerade erschienene Warenkatalog Nr. 20 des Waltroper Versandhauses Manufactum glänzt erwartungsgemäß nicht nur durch Dinge, die dem Vergessen entrissen werden, sondern auch mit einer feinen Ironie, die man von einem solchen Katalog kaum erwarten kann. Manufactum liefert, nach eigenem Bekunden, eine "fast literarische Warenkunde von Küche, Möbel, Kleidung, Werkzeug bis Spielzeug". Manufacum, das ist die tiefere Wahrheit, lehrt uns vor allem die Demut vor den Dingen.
Bereits vor sieben Jahren unternahm Frank Müller unter dem Titel "Im Reich der Dinge" den Versuch das Phänomen Manufactum umfassend zu beschreiben. So hieß es bereits im Katalog Nr. 11 aus dem Jahr 1999: "Von jedem Thermometer, jedem Küchenherd, jeder Armbanduhr und jeder Personenwaage hat man heute schrille Töne zu vergegenwärtigen. Der Mensch-Maschine-Dialog wird alltagsmächtig, und es ist abzusehen, wie er endet: eine entfesselt fiepsende Gerätschaft auf der einen und eine nervlich zerrüttete Menschheit auf der anderen Seite. Wir halten dagegen: die letzten schweigsamen Geräte." "Wohl aus diesen Gründen", so schreibt Frank Müller, "belegt der Katalog auf der im Streiflicht der "Süddeutschen Zeitung" vom 20.1.1999 geführten Rangliste der wichtigsten Bücher einen ehrenhaften zweiten Platz, nur noch übertroffen von Ovids "Liebeskunst".
Es gibt sie auch in diesem Jahr noch, die guten Dinge. Sie sind aus bombiertem Weißblech oder anodisiertem Aluminium. Viel Bakelit ist dabei, aber auch Duroplast bekommt seine Chance. Man erfährt, dass kaum etwas dichter gewebt ist, als eine zweilagige Mullbindung. Skalen und Beschriftungen werden im "Untereloxaldruck appliziert" oder "tiefgeätzt". Der "Klingenhalter mit System" ist aus "Zamak, vernickelt und mattverchromt." Der Griff der Saphirfeile hingegen ist aus Galalith.
Aber kommen wir zum literarischen Teil - zu den manchmal ironischen Produktbeschreibungen, den kulturgeschichtlichen Exkursen und den warentheoretischen Glaubensbekenntnissen. Da ist der Wäschesprenger aus Bakelit (Seite 252) und dazu heißt es: "Dem, der den Umgang mit technisch komplexen Dampfbügeleisen meidet, hilft dieser althergebrachte Wäschesprenger." Die Hosenträger Herkules (Seite 285) "stehen im Ruf, den deutschen Mann zusammenzuhalten." Oder (Seite 208): "Eine Teekanne, die nicht tropft, müsste aller Erfahrung nach ein Ding sein, das seine Existenz höherer als Menschenmacht verdankt." Ich möchte hinzufügen, dass ich ähnliches über Gasthermen vermute. Über den ZENA Rahmschläger (Seite 191) heißt es: "nach unseren Strichlisten ist dies eines der meistbegehrten Opfer der allgemeinen Küchenelektrifizierung" - was immer das auch heißen,und für was das stehen mag!
Auf Seite 48 finden wir, als Präambel zu den Polstermöbeln, den Satz: "Der Polstermöbelbau ist zu einer Spielwiese für Möbeldesigner geworden, was wir gar nicht tadeln würden, wenn unter den mehr oder minder gelungenen Formen nicht regelmäßig das nackte Elend hauste." Apropos Spielwiese: Für die Kassette mit Rommé, Skat und Würfelspiel (Seite 347) findet man folgende Worte: "Spielkarten zeichnen sich dadurch aus, daß sie, wenn man sie braucht, nicht am vermuteten Platz und, ausnahmsweise doch dort angetroffen, nicht vollständig sind." Wie es gelingen könnte, dieses Ärgernis mit Hilfe der angebotenen Kassette aus der Welt zu schaffen, wird nicht erklärt.
Mein unangefochtener Liebling im neuen Katalog ist die Reliefkarte aus gebördeltem, bombiertem und geprägtem Weißblech auf Seite 39. "Die 70 cm breite Weltkarte aus Stahlblech zeigt die Welt mit ihren Höhen (die Tiefen läßt sie aus)". Das steht für sich genommen schon für eine sehr positive und optimistische Welt- und Weitsicht. Aus dem Marianengraben heraus, kann man nicht besonders weit sehen, was ihn in touristischer Hinsicht sehr unattraktiv macht.
Äußerst gelungen finde ich den abschließenden Satz: Die Reliefkarte aus Stahlblech ist eine "filigran zu nennende Projektion unserer Erde, die die Gewalt der großen Gebirgsformationen ertastbar macht und etwa den Bergisch-Gladbacher auf beeindruckende Weise der Illusion beraubt, er lebe ziemlich weit oben."
Das ist ein Seitenhieb, der sitzt. Da muss den Bergisch-Gladbachern doch schwindelig werden, ob dieser Zurückstutzung in die Höhenregionen einer kaum ertastbaren Erhebung. Im Vergleich zur Schweiz, Österreich und Nepal ist man höhenmäßig höchst mittelmäßig aufgestellt. Da fragt man sich schon was die Waltroper im Kreis Recklinghausen mit den Bergisch-Gladbachern im Rheinisch Bergischen Kreis für einen Strauß auszufechten haben. Waltrop liegt übrigens noch 200 Meter tiefer als Bergisch Gladbach, also bei Auslassung der Tiefen, knapp über der Darstellungsgrenze.
Dank Wikipedia weiß ich jetzt, dass als Bombieren eine wölbende Verformung bezeichnet wird. Allein schon das Maß an Unwissenheit, das wir uns bei der Lektüre des Versandhauskatalogs eingestehen müssen, nötigt uns zur Demut: vor den Machern und vor den Dingen. Frank Müller schrieb: "Denn der Mensch, er paßt gar nicht so recht in das Universum der Dinge. Und wenn er sich doch einmal einschleicht, dann werden ihm von Hoof und Mitarbeitern unnachsichtig die Leviten gelesen."
Inwieweit sich Manufactum verformt, nachdem das literarische Versandhaus seit kurzer Zeit eine hundertprozentige Tochter der Otto-Gruppe ist, bleibt abzuwarten.
Die Abbildung zeigt die Weltkarte von Fra Mauro aus dem Jahre 1459 und steht unter Creative Commons Licence.
Sonntag, 23. September 2007
Bombiertes Weißblech
Eingestellt von Reinhard um 23:06
Labels: Demutsforschung, Design, Kulturkritik, Literatur, Sprache
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen