Gerade döse ich ein wenig auf meiner Couch herum, da höre ich, wie Gert Scobel in 3satbuchzeit den us-amerikanischen Autor Richard Ford interviewt. Richard Ford sagt gerade, dass man als Autor nur episodenhaft denkt. Man hat ein Projekt und danach das nächste. Wie er das genau meint, weiß ich nicht, aber mir fällt etwas ein.
Dem geneigten Leser bin ich noch eine Kleinigkeit schuldig. Vor vielen Wochen ging es um die Thesen von rethinking Business. Dazu wollte ich mich nochmals äußern. Heute äußere ich mich endlich zu These 8: "Kern einer sich verändernden Wirtschaftsweise wird der projektwirtschaftliche Sektor sein, der von kreativen Wissensarbeitern und einem florierendem Unternehmertum getragen sein wird." Richard Ford hat sich gerade als Teil des projektwirtschaftlichen Sektors geoutet. Für einen Schriftsteller, wie auch für Angehörige anderer künstlerischer Berufe, ist das nichts besonderes. Jazzmusiker beispielsweise kann man ebenfalls als Zeugen für die Ausweitung des projektwirtschaftlichen Sektors in der Gesellschaft anführen. In den Big Bands der 20er und 30er Jahre herrschten noch weitgehend klare Abhängigkeitsverhältnisse. Der Bandleader war der Boss, die Musiker hatten meist ein festes Engagement mit einem relativ sicheren Einkommen. Anders ist das Business einer Big Band kaum zu betreiben. Mit der weiteren Entwicklung des Jazz etablierten sich kleinere musikalischer Einheiten, mit der Folge, dass sich der projektwirtschafliche Sektor im Jazz immer mehr ausweitete. Musiker taten sich auf eigene Rechnung und eigenes Risiko für einen begrenzten Zeitraum zusammen und trennten sich danach wieder. Das Zauberwort dafür ist auch heute noch "Projekt". Ganz nachdrücklich habe ich dazu noch ein Konzert vom 22.10.2004 in Erinnerung: Alexander von Schlippenbach und Die Enttäuschung spielen das Gesamtwerk von Thelonious Monk. Das war ein tolles Projekt und ein tolles Konzert.
Nun bin ich der Meinung, dass Kunst gesellschaftliche Entwicklungen immer ein wenig - manchmal auch ein wenig mehr - vorwegnimmt. So könnte es sein, dass die Denker von rethinking Business auf der richtigen Spur sind: Anstatt in gesicherten Arbeitsverhältnissen arbeiten immer mehr Menschen auf eigene Rechnung und auf eigenes Risiko. In Frankreich hat das vor zwei Jahren zum Aufstand der Praktikanten geführt: Der Aufstand einer gesellschaftlichen Gruppe ohne Perspektive, die projektwirtschaftlich von einem zum nächsten unterbezahlten Projekt durchgereicht wurde. Hier zeigten sich die Grenzen und die Gefahren der Ausdehnungsfähigkeit des projektwirtschaftlichen Sektors.
Für die Kunstproduktion läßt sich historish belegen, dass der Künstler sich früh als Ich AG in der Gesellschaft zurechtfinden mußte. Viele bildende Künstler sichern diese prekäre Situation noch immer dadurch ab, dass sie als Kunsterzieher eine Basisversorgung beziehen. Der Kunstmarkt ist ein hartes Geschäft und in diesem Teich überleben vor allem die Haifische.
Apropos Haifische. Damien Hirst, der bekanntetste Vertreter der „Young British Artists“, wurde mit einem in Formaldehyd eingelegte Tigerhai bekannt. Vor einigen Wochen las ich in der Süddeutschen Zeitung, dass Damien Hirst einen Schädel mit Diamanten versehen hat. Gemeinsam mit anderen Investoren kaufte er das Kunstwerk für 75 Millionen selbst (siehe Süddeutsche.de). Das nennt man eine spekulatives Geschäft auf die eigene Zukunft. Aber dafür braucht man ein Grundkapital, das sich nicht aus den Bezügen eines Kunsterziehers aufbauen läßt. Da muss man Haifisch oder Heuschrecke sein.
Man muss also schon fragen, wer in der Projektwirtschaft wen über den Tisch ziehen kann. Ein modernes Wirtschaftsmagazin hat eine lesenswerte Kolumne mit dem Titel "Die kleinste wirtschaftliche Einheit: der Mensch". Der Mensch ist nicht nur die kleinste wirtschaftliche Einheit, sondern auch die schwächste. Und da ist die kritische Frage, die der Zukunftsforschung eine ernste Angelegenheit sein sollte, wieviel Projektwirtschaft verträgt eine Gesellschaft und welche Organisationsformen beschränken die Macht der wirtschaftlich Mächtigen? Sonst könnte es so sein, dass Andy Warhols "15 minutes of fame" zu lebenslänglicher Perspektivlosigkeit wird. Das wäre dann Künstlerpech.
Dies ist ein Update zu Thesen und Tatsachen und An die Wand geworfen!
Das Foto zeigt Jimmy Carter und Andy Warhol bei einem Empfang im weißen Haus am 14. Juni 1977. Es steht unter Creative Commons Licence.
Donnerstag, 11. Oktober 2007
Jeder ein Künstler. Lebenslänglich.
Eingestellt von Reinhard um 23:12
Labels: Jazz, Kunst, Zukunftsforschung
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