Was ist schon normal? Erst kürzlich sah ich mich überraschend und nach sehr langer Zeit wieder einmal mit dieser Frage konfrontiert. Als Kind und Heranwachsender traktierten mich meine Eltern häufig mit dem Satz: "Kannst Du Dich nicht mal wie ein normaler Mensch benehmen?" Dieser Satz traf mich meist dann, wenn ich es am wenigsten erwartet hatte. Meist ging ihm ein gewisser Bewegungsdrang, gepaart mit einer partiellen Geistesabwesenheit meinerseits voraus. Ich konnte augenscheinlich nicht so gut normal sein, wenn ich nicht alle meine Sinne beisammen hielt.
Das Normale hat mich als Ver- haltensmaßstab von Hause aus nie sonderlich gereizt. Das war eher der Teil unseres Familienlebens, der sich sehr langweilig dahinzog. Normverletzungen brachten da doch hin und wieder etwas Abwechslung. Heute hingegen find ich die Abkehr vom Normalen schon mal beunruhigend.
An dem ersten frühlingshaften Samstagnachmittag im Februar passierte mir in einem sonnenbeschienenen nordbadischen Biergarten folgendes: Ich bestellte ein Tonic Water und der Kellner stellte mir die Gegenfrage "Groß oder klein?" Hatte ich es doch in den letzten Jahrzehnten als ausgesprochen angenehm empfunden, dass ein Tonic Water überall in Deutschland ein Tonic Water geblieben war und es überall in Deutschland in unabänderlich feststehenden Mengen von 0,2 Litern serviert wurde - vorzugsweise und wenn nicht anders verlangt, mit Eis und Zitrone. Bislang erschien mir das wie ein Gesetz, das in Tontafeln geritzt auch noch die nächsten zweitausend Jahre Bestand haben würde. Die Bestellung eines Tonic Waters gab noch niemals Anlass zu lästigen Fragen und Wünschen nach Präzisierungen. Nie war man solch qualvollen Verhörsituationen ausgesetzt, wie man sie als Gelegenheitsesser bei McDonalds überstehen muss: Menü? Soße? Fritten? Groß, mittel, klein? Zum Mitnehmen?
Bei Apfelsaftschorle ist es voll normal, dass man seiner Bestellung ein differenzierendes "groß" oder "klein" hinzufügt. Auch ein Pils kommt in ganz unterschiedlichen Abfüllmengen vor und man kann seine Kneipenkonversation ganz entspannt weiter verfolgen, wenn man seine Bestellung gleich in Richtung "großes Pils" oder "kleines Pils" präzisiert. Tonic Water jedoch war ähnlich wie Bitter Lemmon oder Ginger Ale bislang eine wirksame Rückversicherung gegen genußverzögernde Nachfragen bezüglich der Quantitäten der Bestellung. Die verlangte Qualität erstickte jede Frage nach Quantitäten im Keim. Schweppes, das waren Null-Komma-Zwo-Liter-Flaschen und ein Glas plus Eis, plus Zitrone und wenn es ein Gin-Tonic sein sollte, auch plus Gin. So war es in der Welt bisher geregelt, und das war auch gut so!
Ich antwortete in jenem sonnenbeschienenen Biergarten auf die unerwartete Frage, ob das Tonic Water in groß oder in klein angeliefert werden solle, mit einem sehr herablassenden "normal", worauf der Kellner tatsächlich zur Ausführung des Auftrags enteilte. Meine Begleiterin machte mich sogleich darauf aufmerksam, dass "normal" keine Antwort auf die Frage gewesen sei. Ich erwiderte, dass ich davon ausgehe, dass auch einem Kellner der Sinn für das Normale nicht vollkommen abhanden gekommen sein dürfte. Die Lieferung gab mir Recht: Ich erhielt Null-Komma-Zwo-Liter Tonic Water, allerdings ohne Zitrone.
Als ich am Abend des gleichen frühlingshaften Tages zum Tanken anhielt, bemerkte ich aus dem Augenwinkel, dass etwas an den groß angeschlagenen Preisen der unterschiedlichen Treibstoffsorten nicht so ganz normal sein konnte: Gab es jetzt Super zum Preis von Normalbenzin? Oder, noch schlimmer, Normalbenzin zum Preis von Super? Jedenfalls stand bei beiden Sorten 141,9 Eurocent der Liter.
Für die meisten, die das jetzt lesen, mag das Schnee von Gestern sein. Wie ich hörte hat Aral bereits im November 2007 den Preis für Normalbenzin auf den Preis für Super erhöht. Eine satte Preiserhöhung für all diejenigen, denen Normalbenzin bisher genügte. Der Marktanteil der Otto-Normal-Tanker hat sich seither von 25 Prozent auf 14 Prozent reduziert. Jetzt denken die Mineralölkonzerne darüber nach Normalbenzin komplett abzuschaffen. Der Ami-Blog schreibt dazu: "'Schuld' sei der Absatzeinbruch bei Normal-Benzin. Nur noch 14 Prozent statt 25 Prozent mache der Anteil von Otto Normal am Gesamtabsatz aus. Womit die Konzerne erreicht haben dürften, was sie wollten: Normal teurer machen, damit Super mehr gekauft wird. Super gemacht, liebe Multis. Nächste Stufe: Super wird teurer, weil's ja mehr nachgefragt wird." Tja, so funktioniert die Preisbildung in der Marktwirtschaft.
Dem Magazin der Süddeutschen Zeitung war dies Anfang Februar unter der Überschrift "Das Prinzip Normal" einen Beitrag wert. Andreas Bernard schreibt dort: "Vertraute Eichpunkte, Standards und Normgrößen lösen sich auf und werden von Kategorien ersetzt, die ursprünglich für einen besonderen Mehrwert, einen Überschuss standen. Wie an den Zapfsäulen nun kein »Normal« mehr getankt werden kann, gibt es in Cafés oder Kinos die Getränkegröße »Medium« nicht mehr (geschweige denn die Einheit »klein«.) Die Kaffeegrößen bei Starbucks beginnen bekanntlich bei »tall«, gefolgt von »grande«; die Skala besteht also nur noch in Varianten von groß. Und wer in Multiplex-Kinos arglos mittlere Popcornbecher bestellt, darf mit Portionen in Eimergröße rechnen."
Es ist schon klar wie die Abschaffung des Normalbenzins von Aral und Konsorten kommuniziert werden wird. Es handelt sich um ein Upgrade im Sinne des Klimaschutzes, da Super einfach super Leistung bringt und auch nicht mehr Kohlendioxyd emittiert. Alles voll normal, oder?
Das Foto stammt vom Autor des Beitrags und steht unter Creative Commons Licence.
Montag, 3. März 2008
Voll normal
Eingestellt von Reinhard um 01:23
Labels: Konsumkritik, Kulturkritik
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2 Kommentare:
"Genußverzögernde Nachfragen" - die Formulierung merk ich mir ;-)
Ohh die sind ja wirklich schön. Und die Muster sind j a mal echt genial! Danke noch mal für den tollen Tipp.
kuhfell Teppich
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